Zur „vollen Solidarität in der Pandemie“ hat Kardinal Jean-Claude Hollerich, der Präsident der katholischen Bischofskommission bei der Europäischen Union (COMECE), beim Renovabis-Kongress per Videobotschaft alle EU-Länder aufgerufen. Hollerich wörtlich: „Die Krise hat uns gezeigt, dass wir sterblich sind. Und viele Menschen sind in Armut gefallen.“ Er bezeichnete die EU als eine Schicksalsgemeinschaft: „In der ist das Wohlergehen des einen wichtig für den anderen. Wir müssen wieder lernen zu teilen.“ Der Aspekt des Versagens gemeinsamer europäischer Solidarität und der europäischen Geflüchtetenpolitik war brisant beim Kongress wegen der Katastrophe im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Viele Teilnehmer folgerten daraus, dies zeige, dass „Europa seine Seele verloren hat und wiederfinden muss“. Die Covid-19-Pandemie dürfe keine billige Ausrede sein, die Probleme der Flüchtlinge zu ignorieren: „Sie sind mehr denn je die Ärmsten der Armen, die unser aller tatkräftige Fürsorge brauchen“, hieß es.
Ein weiteres aktuelles politisches Thema fokussierte der Kongress in Bezug auf den Mangel von Facharbeitern in Osteuropa, die etwa nach Deutschland abwandern, und dort oft unter unfairen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. „Die Pandemie hat gezeigt, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter eben doch systemrelevant sind, auch wenn sie nur selten so wahrgenommen werden“, sagte Pfarrer Wolfgang Herrmann, der Leiter der Betriebsseelsorge Stuttgart. Er forderte „eine nachhaltige Debatte, um das Leben der oft ausgebeuteten Frauen und Männer vor allem in der Pflege, Landwirtschaft und Fleischindustrie zu verbessern“. Vom Renovabis-Kongress aus wurde an die Bundesregierung appelliert, endlich Abhilfe zu schaffen. Der Betriebsseelsorger kritisierte, dass die Stimmen der Hilfsorganisationen und die Appelle der Kirchen seit Jahren einfach nicht gehört würden.
In insgesamt sieben Foren wurde ein breites Spektrum bearbeitet: etwa die psycho-sozialen Folgen der Pandemie und die Frage, wie Arme und Marginalisierte am Rande der Gesellschaft jetzt am sozialen Leben beteiligt oder davon ausgeschlossen werden. Und es ging um biblisch-theologische Einordnungen sowie binnenkirchliche, politische und gesellschaftliche Fragen, die von der Corona-Pandemie aufgedeckt worden sind.
Wie Kirche in Europa zu Corona-Zeiten auf die Menschen zugeht und wie dies wahrgenommen werde, war ein Ausgangspunkt dafür. Online bestand die Möglichkeit, die eigene Kirchensicht zwischen „prophetisch“ bis „zu zurückhaltend“ zu qualifizieren. Gemäß dem Ergebnis erlebten auch die Fachleute dieses Kongresses Kirche eher als „zu zurückhaltend“. Unter der Panel-Titelfrage „Livestream aus dem Haus des Herrn?“ wurde aus vielen Ländern deutlich, dass nach ersten Unsicherheiten, dann aber doch kreativ ein „In-Kontakt-Bleiben auf Distanz“ medial möglich wurde. Dabei hätten sich auch Chancen ergeben, etwa über Livestream-Gottesdienste in Rumänien und Tschechien Menschen zu er-reichen, die bisher von der Kirche nicht angesprochen worden waren, insbesondere jüngere Menschen.
Vielfach wurde aus mehreren Ländern berichtet, dass es gelungen sei, auch die „am Rande“ anzusprechen und ihnen zu zeigen, dass Kirche und Christentum eine vielfältige Hilfe sein könnten: einerseits Gemeinschaft stiftend durch ihre tröstliche Botschaft und Seelsorge, aber eben auch ganzheitlich im Sinne von sozial-karitativer Hilfe. „Aber“, so fragten sich Teilnehmer und Betroffene in O-Ton-Zuspielungen und auch in Chats und Kleingruppen: „Ist es denn mit Livestream-Gottesdiensten getan?“ Sie verneinten dies vehement. Es komme auf andere persönliche Angebote an. Schließlich würden durch Corona viele Menschen „durchs Raster fallen“, etwa weil Obdachlose, aber auch viele alte Menschen, oft kaum in der Lage sind, Online-Angebote zu nutzen.
Renovabis-Hauptgeschäftsführer Pfarrer Christian Hartl dankte für die zahlreichen Anregungen und Impulse, „von denen man viel lernen kann“. Er schloss daraus, dass für die Zukunft Kreativtität gefragt ist. „Natürlich ersetzen Video-konferenzen nicht die persönliche Begegnung mit Informationen, die eben auch über Körpersprache transportiert werden, aber sie können helfen, die fehlende Nähe zu überbrücken.“
Die neue Erfahrung, mit dem Online-Format die Kongress-Tradition fortzusetzen, gemeinsame Themen zu diskutieren, kam bei den Teilnehmenden durchwegs gut an – so die Ordensschwester Josefa von den Eucharistinerinnen aus Bulgarien: „Es ist gut, dass wir die Möglichkeit haben. Auch, dass wir manche Gesichter sehen können! Der reale Kontakt fehlt natürlich.“ Eine andere Teilnehmerin bedankte sich bei Renovabis für das „Teilen der Erfahrungen in der schwierigen Pandemie“ und empfand den Kongress als „Hoffnungsbotschaft“. Jeweils rund hundert Zugeschaltete, gelegentlich auch mehr, hatten die sieben Online-Foren, die von insgesamt 40 Impulsgeberinnen und -gebern, referierenden und moderierenden Männern und Frauen auf dem Computerbildschirm und in den Chatrooms gestaltet wurden. „Auch weil die Online-Brücke hielt und vor allem, weil tatsächlich ein internationaler Dialog stattfinden konnte“, halten die Renovabis-Verantwortlichen ihr „Experiment Online-Kongress für einen Erfolg“, wie Kongress-Referent Christof Dahm zusammenfasst. Dies zeige der hohe Zuspruch bei allen Veranstaltungen und die Verweildauer der digitalen Besucher, die meist von Anfang bis Ende mit hoher interaktiver Beteiligung bei engagiert den Chats dabei gewesen seien, so Dahm.
Renovabis ist die Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa. Im März 1993 wurde Renovabis von der Deutschen Bischofskonferenz auf Anre-gung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gegründet.
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