Die Jahrestagung der DGMP bietet mit ihrem wissenschaftlichen Programm wieder vielfältige aktuelle Ansatzpunkte für spannende Diskussionen im breiten Spektrum der Medizinischen Physik. Welche wichtigen Schwerpunkte und besonderen Akzente haben Sie gesetzt?
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Der Großteil der Medizinischen Physik spielt sich gewissermaßen auf den Gebieten der Anwendung ionisierender Strahlung und radioaktiver Stoffe zu medizinischen Zwecken ab. Jeder kennt das „Röntgen“ und die Computertomografie, vielen sind auch nuklearmedizinische Untersuchungen und Therapien bekannt, und dass die Strahlentherapie ein Verfahren zur Behandlung von Krebs ist, gehört auch durchaus zur Allgemeinbildung. Bei den Tätigkeitsfeldern der Medizinphysiker nimmt die Strahlentherapie, oft auch als Radioonkologie bezeichnet, einen Anteil von etwa 80% ein. Der Fokus der Themen dieser Tagung liegt daher naturgemäß auf diesem Gebiet.
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Neben diesen klassischen Themen, die traditionell und orientiert am täglichen Bedarf an medizinphysikalischer Expertise einen Großteil des Programms ausmachen, erhalten in diesem Jahr Fragen der Anwendung ionisierender Strahlung in Nuklearmedizin und Radiologie wieder mehr Raum. Bei der Novellierung des Strahlenschutzrechts Anfang letzten Jahres gab es einige Neuerungen, die eine engere Involvierung von Medizinphysikern bei diesen Anwendungen erfordern, gerade weil diese Verfahren immer komplexer werden und eine sich kontinuierlich, teilweise auch rasant weiter entwickelnde Technik nutzen, die eine immer individuellere, also auf die einzelne Patientin bzw. den einzelnen Patienten und deren jeweiligen Verhältnisse und Erkrankungen zugeschnittene Diagnostik und Therapie erfordern.
Prof. Dr. rer. Nat Ulrich Wolf: Physik und so auch die Medizinische Physik hat natürlich nicht nur die genannten Strahlenanwendungen im Fokus. Auch dem Hören, dem Sehen und dem Fühlen liegen neben biologischen auch spannende physikalische Prozesse und Zusammenhänge zu Grunde. Ein seit Jahren fester Bestandteil unserer Jahrestagung sind daher auch die Medizinische Physik des Hörens in der Audiologie, die Medizinische Optik sowie diesen verwandte Gebiete.
Die rasante Weiterentwicklung der Medizinischen Physik zeigt sich in verschiedenen Themenbereichen bildgebender Verfahren in Radiologie, Strahlentherapie, Nuklearmedizin und der Audiologie. In welchen Bereichen erwarten Sie neue Impulse für einen interdisziplinären Austausch?
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Das Gebiet der der Molekularen Bildgebung hat in den letzten Jahren teilweise quantensprungartige Fortschritte gemacht. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz sehr effizienter und schneller digitaler Detektorsysteme für die Positronenemissionstomografie – bekannt als PET bzw. PET-CT. Hier sind inzwischen hocheffiziente und für Patienten aber auch Ärzte und MTRAs sehr komfortable Systeme verfügbar. All diese Systeme sind Hybridsysteme aus struktureller und funktioneller Bildgebung, also zumeist kombinierte Systeme aus CT und PET bzw. SPECT. Ein Weiterer Meilenstein der molekularen Bildgebung ist die seit einigen Jahren verfügbare Kombination aus PET und MRT, sodass beide Bildgebungen simultan ablaufen können, den Patienten also sozusagen in einem „Rutsch“ eine umfassende ganzheitliche Diagnostik angeboten werden kann.
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Die Strahlentherapie hat in den letzten Jahren gerade auch durch neue und verbesserte Verfahren der Bildgebung – die Magnetresonanztomografie (MRT), nuklearmedizinische Verfahren wie die PET-CT oder auch seit kurzem die PET-MRT – große Fortschritte bei der Lokalisation von Tumoren und Metastasen gemacht. Flankiert wird das durch Entwicklungen auf dem IT-Sektor. Hier reicht die Spanne von schnelleren und verbesserten Verfahren der Bestrahlungsplanung, also der Festlegung von Anzahl und Art der Strahlenfelder auf der Basis immer präziserer Berechnung der dem Patienten verabreichten Dosis, bis hin zum Einsatz der IT für die Steuerung und Kontrolle der Bestrahlungen und zur Dokumentation und Auswertung der Ergebnisse einer Strahlenbehandlung. Auch diese Themen werden auf der Tagung adressiert werden. Breiten Raum wird auf der Tagung auch die so genannte Partikeltherapie einnehmen, ein Verfahren, das hauptsächlich Protonen, seltener auch Kohlenstoff-Ionen für die Strahlentherapie einsetzt, die aufgrund der Wechselwirkungsphysik in speziellen Fällen durchaus Vorteile in der physikalischen Dosisverteilung bieten. Aufgrund des großen technischen Aufwandes ist allerdings diese – zudem relativ aufwändige und teure Technologie – nur an wenigen Standorten verfügbar, unter anderem in Dresden.
Ein besonderes Highlight sind neueste Entwicklungen der Medizinischen Physik im Jubiläumsjahr 125 Jahre nach Entdeckung der Röntgenstrahlen. Welche aktuellen Entwicklungen zu Ihrem Fachgebiet stehen dabei im Fokus?
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Es hat zwar mit Röntgenstrahlung nur mittelbar zu tun, aber auf dem Gebiet der molekularen Hybridbildgebung gibt es bereits ein sogenanntes Ganzkörper PET/CTSystem, das mit einem auf den gesamten Körper ausgedehnten axialen Gesichtsfeld und der vorhin genannten digitalen Detektortechnik mit bisher ungekannter Empfindlichkeit, Schnelligkeit und damit zeitlicher Auflösung funktionelle, also den Stoffwechsel betreffende Vorgänge und sogar deren über größere Bereiche des Körpers bzw. über Organe und Organsysteme verteilte Interaktionen und Abhängigkeiten darstellen kann. Diese Bildgebungsmodalität wird ganz neue Forschungsfelder und auch klinische Anwendungsmöglichkeiten eröffnen und die Versorgung mit PET/CT-Diagnostik zunächst in Maximalversorgungshäusern revolutionieren.
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Um es mal so auszudrücken – die Strahlung, die wir üblicherweise für die Strahlentherapie einsetzen, ist aufgrund der physikalischen Prozesse bei der Erzeugung letztlich auch Röntgenstrahlung, nur mit wesentlich höherer Energie und dementsprechend einem deutlich größeren Durchdringungsvermögen. Allerdings spielt die Bildgebung mit den „klassischen“ Röntgenstrahlen aber bei der exakten Positionierung des Patienten am Strahlentherapiegerät, einem Beschleuniger, eine sehr wichtige Rolle. Durch spezielle Verfahren wie der sogenannten Kegelstrahl-Tomografie, abgekürzt CBCT, und anderer Röntgen-Techniken oder auch der optischen Abtastung der Patientenoberfläche, können wir heute sehr hohe geometrische Genauigkeiten, teilweise sogar im Millimeter- bzw. Submillimeterbereich, bei der Applikation einer Strahlenbehandlung erreichen.
Zur DGMP-Jahrestagung sind wieder national und international ausgewiesene Wissenschaftler eingeladen, die ihre aktuellen Forschungen präsentieren. Welche spannenden Vorträge sind besonders hervorzuheben?
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Der Bogen „125 Jahre Röntgenstrahlung“ wird dann weiter gespannt durch einen Plenarvortrag von Professor Kachelrieß vom Deutschen Krebsforschungszentrum – DKFZ – Heidelberg, der modernste Entwicklungen auf dem Gebiet der Röntgenbildgebung, vor allem der Computertomografie, präsentieren wird. Und wie bereits erwähnt, erwarten wir eine große Attraktivität der Beiträge aus dem Gebiet der Partikeltherapie und freuen uns, dass da auch etliche Beiträge aus Sachsen, letztlich dem Partner des DKFZ im Nationalen Strahlenforschungszentrum in der Onkologie, dem Oncoray in Dresden, dabei sein werden.
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Ein weiterer Beitrag wird sich mit Physikalischen Grenzen – klinischen Forderungen sowie technischen Lösungen von Röntgenröhren – befassen und dabei auch ein wenig auf die Historie der Entwicklung von Röntgenröhren eingehen. Ich persönlich freue mich besonders, dass wir dafür schon sehr früh Herrn Professor Keller aus der Technischen Universität Ilmenau gewinnen konnten, meinen akademischen Lehrer, der mich damals für die Medizinische Physik und Technik vom Start weg begeistert hat und es bei über die Jahre und Jahrzehnte wiederkehrenden Kontakten weiter tut. Seine in über 40 Jahren Lehre akkumulierenden didaktischen Erfahrungen haben unzählige Absolventen der Ilmenauer Alma Mater geprägt und ich bin sehr froh, dass er uns auf dieser Tagung gern zur Verfügung steht.
Aktuelle Themen sind Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data in Strahlentherapie und Diagnostik. Welchen Einfluss hat die KI auf das Arbeitsumfeld in der Medizinphysik? Inwiefern wird sich die Arbeit von Medizinphysikern dadurch ändern?
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Die Entwicklungen auf dem Gebiet der KI gehen natürlich auch an der Medizin generell nicht spurlos vorbei. Wir als Medizinphysiker verstehen uns dabei durchaus als gefordert, diese Entwicklungen zu verfolgen, zu beeinflussen und auch mitzugestalten. KI kann uns helfen, viele Prozesse in Diagnostik und Therapie effizienter und auch präziser zu machen, Routinearbeit durch schöpferisches und innovatives Gestalten zu ersetzen und so letztlich sowohl unsere Arbeit in der Klinik als auch vor allem die unserer ärztlichen Kollegen und vieler anderer im klinischen Umfeld Tätiger interessanter, effizienter und durchaus auch weniger fehleranfällig zu machen. All dies hat letztlich aber das Ziel, die medizinische Versorgung der uns anvertrauten Patienten immer weiter zu verbessern.
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Nun, darüber könnte man eine ganze Stunde oder länger philosophieren oder auch nur ganz kurz: KI ist ein sehr großer Begriff, der weiter für medizinische und technische Anwendungen spezifiziert werden muss. Nur bestimmte Anwendung erscheinen sinnvoll und möglich. Zum Beispiel ist es wichtig, sehr genau zu verstehen, wie genau die Algorithmen arbeiten, welcher Trainingsprozedur sie unterzogen wurden und wo auch ihre Grenzen sind. Eine ethische Frage ist ja immer, ob solche Verfahren potentiell den Menschen ersetzen können. Da gibt es aus meiner Sicht eine klare Antwort: Nein. Denn sie unterscheiden sich in im positiven und im negativen vom Menschen: Sie können – nach SINNVOLLEM Training – sehr viel schneller z.B. tausende Bilder miteinander vergleichen. Was sie aber im Vergleich zum Menschen nicht können, ist Assoziieren, Abwägen, Entscheiden. Der unglaubliche Nutzen von KI-Verfahren ist aber die Unterstützung dieser Dinge auf Basis einer Datenmenge, die kein Mensch auch nur ansatzweise auf die immer gleiche rationale Weise hinzuziehen kann.
Strahlenschutzrecht ist ein weiteres wichtiges Diskussionsthema. Inwiefern sind insbesondere Medizinphysiker gefordert, wenn es darum geht, die Strahlenexposition bei medizinischen Untersuchungen und Behandlungen für Patienten und Personal noch weiter zu senken?
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Na sagen wir mal, Medizinphysiker sind gefordert, die Strahlenexposition zu OPTIMIEREN! Optimieren heißt hier natürlich auch ganz oft auch senken, aber nicht immer ist stetige Verminderung der Strahlenexposition bei einzelnen Untersuchungen auch der Qualität des Ergebnisses, z.B. eines Röntgenbildes zuträglich. Wenn wir allerdings – zum Beispiel durch Verwendung neuer, digitaler, sehr viel empfindlicherer Strahlungsdetektoren – mit weniger Strahlenexposition zum gleichen oder einem besseren Ergebnis kommen, dann ist dies natürlich sehr sinnvoll. Gerade in der Strahlentherapie kann eine zusätzliche Röntgenbildgebung, gerade am Bestrahlungsgerät, also eine vergleichsweise kleine Strahlenexposition, zu einem deutlich verkleinerten bestrahlten Volumen, also dem Bereich, der eine hohe, strahlentherapeutisch wirksame Dosis erhält, führen. Daran arbeiten unter anderen Medizinphysiker, oft auch in Kooperation mit der Industrie, seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Daher gehört auch eine Industrieausstellung, auf der aktuelle Produkte und natürlich auch neue Entwicklungen vorgestellt werden, seit vielen Jahrzehnten untrennbar zu unserer Tagung dazu. In diesem Jahr werden wir versuchen, neue Formen zu finden, wie wir dies in unser Programm integrieren können.
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: Überdies ist es wichtig zu sagen, dass der Umgang mit ionisierender Strahlung am Menschen und die damit assoziierten Strahlenschutzregelungen in Deutschland zu den im internationalen Vergleich sichersten zählen. Natürlich gibt es das international weithin akzeptierte Minimierungsgebot, das besagt, dass jede Strahlenexposition „so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar“ gehalten werden muss. Wir Medizinphysiker können dies tun, indem wir unser Fachwissen über organisatorische und naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge in Verbindung mit Strahlenexposition aktuell halten, in die tägliche Routine – und da gibt es ja bekanntlich ganz viele Facetten – einbringen, es unter den Fachkollegen weitergeben, aber auch immer wieder neu diskutieren und abwägen.
Nachwuchsförderung ist wieder ein großes Thema der DGMP. Welche besonderen Anregungen bietet die Fachtagung für Nachwuchswissenschaftler?
Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wolf: Seit einigen Jahren wird auf der DGMP Tagung das Young Investigator Forum organisiert, das auch einen Preis für den besten Beitrag eines Nachwuchswissenschaftlers auslobt bzw. dann vergibt. Fester Bestandteil der Tagung ist auch die „Junge Medizinphysik“, ein Arbeitskreis der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik, DGMP, unserer wissenschaftlichen Fachgesellschaft, in dem sich interessierte junge Kollegen zusammengeschlossen haben und dort Weiterbildungen gerade für unseren Nachwuchs organisieren, ihre Erfahrungen, ihre Wünsche bei der Beschäftigung mit der medizinischen Physik in ihrer Aus- und Weiterbildung, in der Forschung und auch in der klinischen Arbeit untereinander austauschen, aber auch den Kontakt mit erfahreneren Kolleginnen und Kollegen suchen und herstellen. Wir schätzen die Arbeit der jMP sehr und versuchen, die jungen Kollegen eng mit in die Tagung einzubinden.
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Sattler: So eine Tagung ist natürlich für junge Wissenschaftler eine tolle Möglichkeit, sich mit Erfahrenen Kollegen ganz entspannt auszutauschen, aber auch, sich im wissenschaftlichen Kommunizieren, eben über das Vorstellen erster eigener Ergebnisse, z.B. durch das Halten eines Vortrages oder das Gestalten eines Posters bzw. ePosters. Nun, in diesem Jahr wird die persönliche Komponente dieser Kommunikation zu kurz kommen, da wir uns ja nicht persönlich, sondern eben nur im Netz, treffen können, aber am Anteil vergleichsweise junger Kolleginnen und Kollegen unter den aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehen wir, dass man durchaus bereit ist, diesen kommunikativ neuen und herausfordernden Weg mit uns und der DGMP zu beschreiten.
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