Die Liquidität braucht ein Zuhause

Die sehr gute Performance der chinesischen Aktienmärkte im Juni kam für uns nicht völlig überraschend. Die Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Verhinderung, einer zweite Corona-Welle und negativer wirtschaftlicher Auswirkungen, waren drastisch, aber zugegebenermaßen effizient. Wir beobachteten wie Mitte Juni ganze Stadtviertel von Peking komplett abgeriegelt wurden, als rund 100 neue Fälle in der Nähe eines Lebensmittelmarktes bekannt wurden.

Erst kürzlich wurde der rund 150 km von Peking entfernte Bezirk Anxin in der Provinz Hebei mit seinen 400.000 Einwohnern vollständig abgeriegelt, nachdem nur 18 neue Fälle gemeldet wurden.

In Asien galt es, die lokalen Märkte wieder zu öffnen, ohne die Menschen ein- oder ausreisen zu lassen. Die Grenzen bleiben weiterhin geschlossen und für zurückkehrende Staatsangehörige gelten strenge Quarantäneauflagen. Selbst innerhalb des kleinen Dreiecks, aus Hongkong, Macao und Shenzhen, in dem wir unseren Sitz haben, gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Grenzen in absehbarer Zeit wieder geöffnet werden. Und das, obwohl in keiner dieser drei Städte seit Wochen, wenn nicht gar Monaten neue Fälle aufgetreten sind.

Gemessen an den makroökonomischen Zahlen scheint diese Vorgehensweise gut funktioniert zu haben, da China neben Taiwan und Korea an der Spitze der Konjunkturerholung steht: Der offizielle PMI (Purchasing Managers Index) Chinas für das verarbeitende Gewerbe stieg von 50,6 im Mai auf 50,9 im Juni und übertraf damit den Bloomberg-Konsens von 50,4. Der PMI für das nicht-verarbeitende Gewerbe zeigte den gleichen Trend und stieg von 53,6 im Mai auf 54,4 im Juni (der Bloomberg-Konsens lag bei 53,5). Der Caixin-PMI für das verarbeitende Gewerbe zeigte ebenfalls eine beschleunigte Trendwende im Juni mit einem Wert von 51,2 gegenüber 50,7 im Mai (der Bloomberg-Konsens lag bei 50,5). Die Industrieproduktion war im Mai 2020 um 4,4 Prozent höher als im Mai 2019 und die Gewinne der Industrie waren um 6,0 Prozent höher als vor einem Jahr. Die Einzelhandelsumsätze waren im Mai 2020 immer noch 2,8 Prozent niedriger als im Mai 2019. Dies war dennoch eine deutliche Verbesserung gegenüber den im April verzeichneten -7,5 Prozent. Mit zunehmender Konjunkturerholung wird allgemein erwartet, dass die Verkaufszahlen im Juni gegenüber dem Vorjahr höher sein werden.

Da sich das makroökonomische Umfeld Chinas verbessert, erwarten wir mit der Wiederaufnahme des Handels einen positiven Spill-over-Effekt für das übrige Asien. China wird höchstwahrscheinlich wieder seine Rolle als Wirtschaftsmotor für die Region übernehmen.

Das einzige Land, das uns Sorgen bereitet, ist Indien. Hier steigt die Zahl der neuen Corona-Fälle täglich, im Gegensatz zu allen anderen Ländern Asiens. Darüber hinaus starben bei militärischen Auseinandersetzungen in Ladakh, an der Grenze zwischen China und Indien, Anfang dieses Monats mindestens 20 Soldaten. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt verschärfte der Vorfall den Konflikt zwischen den beiden Ländern. Die makroökonomischen Aussichten Indiens sind düster: Moody’s rechnet für dieses Kalenderjahr mit einem Rückgang des BIP um 3,1 Prozent, während Crisil, die indische Tochtergesellschaft von S&P, für das zweite Quartal mit einem Rückgang des BIP um 25 Prozent rechnet. 

Zurück zu China: Das makroökonomische Umfeld ist ein Grund für die hervorragende Performance der chinesischen Märkte in diesem Monat. Der andere Grund sind die Liquiditätsspritzen der westlichen Zentralbanken, die ihren Weg in die Schwellenländer finden. Laut Bloomberg kauften ausländische Investoren im Juni A-Aktien des chinesischen Festlands (notiert in Shanghai und Shenzhen) in Höhe von netto 7,4 Mrd. USD. Wir sind der Ansicht, dass dieser Liquiditätsstrom hier nicht abebben wird, da China seine Finanzmärkte aktiv für ausländische Investoren öffnet – Banken und Versicherungsgesellschaften können nun eigenständig in China agieren.

Da sich die Onshore-Finanzmärkte weiter öffnen, erwarten wir, dass der MSCI seine Gewichtung von A-Aktien in seinen Indizes weiter erhöhen wird. Bisher hat der MSCI Schritt für Schritt nur 20 Prozent dessen aufgenommen, was er letztendlich plant in A-Aktien aufzunehmen. Damit bleibt Raum für eine fünffach höhere Gewichtung in allen seinen Indizes für globale Märkte und Schwellenländer.

Das anhaltende Quantitative Easing der Fed und der EZB wird nicht so bald enden, obwohl es schon jetzt wahrlich gigantisch ist: Da sich Corona im Westen immer weiter ausbreitet, ist mit weiteren Liquiditätsspritzen zu rechnen. Um die Dimension einzuordnen, hat das makroökonomische Research-Unternehmen Gavekal folgendes berechnet: die derzeitigen Regierungsausgaben der Vereinigten Staaten machen im Rahmen des Covid-19-Programms, die sich bereits auf 3,7 Billionen US-Dollar belaufen, in heutigen Dollar fast das Vierfache der Kosten des Vietnamkriegs, das 24-fache der Kosten des gesamten Apollo-Raumfahrtprogramms der NASA und das 20-fache der Kosten des Marshall-Plans für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg aus.

All die Liquidität muss in einer Zeit, in der die Zinsen in den entwickelten Ländern entweder negativ oder nahe Null sind, ein Zuhause finden. Die Schwellenländer und insbesondere die chinesischen Märkte mit ihrer Größe und Tiefe, sind die logischen Gewinner, zusammen mit Luxusimmobilien und Sammlerstücken.

Da die PBoC (People’s Bank of China) während des Corona-Ausbruchs eine umsichtige Fiskal- und Geldpolitik betrieb, hielt sie die Zinssätze auf einem attraktiven Niveau:  10-jährige chinesische Staatsanleihen bringen derzeit 200 Basispunkte mehr als das amerikanisches Pendant und 330 Basispunkte mehr als deutsche.

Nicht zuletzt erlebte der Markt in Hongkong im Monat Juni mit der Notierung von Netease und JD.com einen kräftigen Aufschwung. Diese beiden Unternehmen handelten präventiv im Vorfeld eines möglichen erzwungenen Delistings ihrer ADRs von der New Yorker Börse, zusammen mit allen anderen chinesischen ADRs, deren Delisting der US-Kongress anstrebt. Es handelt sich um einen potenziellen Marktwert von 1,5 Billionen US-Dollar, verteilt auf etwa 250 Unternehmen, die in den kommenden zwei bis drei Jahren wahrscheinlich von New York nach Hongkong, Shanghai oder Shenzhen verlegt werden.

Zahlenquelle: Bloomberg

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