Blutender Finger ist keine Ausrede für Raserei

Überhöhte Geschwindigkeit lässt sich nicht mit einer stark blutenden Fingerverletzung rechtfertigen. Dies gilt auch dann nicht, wenn ein Ehemann nicht auf den Rettungswagen wartet und seine Frau selbst zur Klinik bringt. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt vom 22. März 2020 (AZ: 971 Owi 955 Js-OWi 65423/19).

Der Mann wurde geblitzt, als er innerorts mit einer Geschwindigkeit von mindestens 80 Stundenkilometern auf einer 30er Strecke unterwegs war. Er verteidigt sich damit, seine Ehefrau habe sich beim gemeinsamen Kochen mit den Kindern am Zeigefinger geschnitten. Die Wunde habe stark geblutet. Erschrocken über das Ausmaß habe er keinen Rettungswagen gerufen, sondern wollte sie selbst ins Krankenhaus bringen. Einige Monate zuvor hätten sie bei Unterleibsschmerzen der Ehefrau rund 40 Minuten auf den Rettungswagen gewartet.

Der Betroffene wurde trotzdem zu einer Geldbuße von 235 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Zwar könne eine Ordnungswidrigkeit grundsätzlich durch Notstand gerechtfertigt sein. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Es habe schon keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben der Ehefrau vorgelegen. Weder ihr Tod noch eine sonstige Komplikation seien ernsthaft zu erwarten gewesen. Für eine Rechtfertigung dürfe eine gegenwärtige Gefahr objektiv nicht anders abzuwenden gewesen sein. In diesem Fall sei es aber dem Mann zumindest zumutbar gewesen, einen Rettungswagen zu rufen.

"Raserparagraph": Flucht vor Zivilstreife kann illegales Autorennen sein

Köln/Berlin (DAV). Auch eine grob verkehrswidrige und rücksichtslose Flucht vor einem anderen Kraftfahrzeug kann als illegales Kraftfahrzeugrennen strafbar sein. Es muss kein „Wettbewerb“ vorliegen. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 5. Mai 2020 (AZ: III-1 RVs 45/20).

Der zur Tatzeit 28-jährige Angeklagte fuhr gegen drei Uhr nachts zu einem Club. Er hatte mindestens 1,3 Promille im Blut, als sich eine Zivilstreife hinter sein Fahrzeug setzte. Der Mann bemerkte nicht, dass es sich um Polizisten in Zivil handelte. Er fühlte sich durch das Fahrzeug bedroht und steigerte seine Geschwindigkeit, um zu entkommen. Dabei fuhr er auf der Flucht mindestens 140 Stundenkilometer, obwohl nur 70 erlaubt waren. Nach einer Kreuzung konnte er gestellt werden. Amts- und Landgericht Aachen hatten den Angeklagten wegen Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe nebst Entzug der Fahrerlaubnis verurteilt. Aber nicht wegen Verstoßes gegen den neuen "Raserparagraphen" (§ 315d StGB). Das Landgericht hatte die Auffassung vertreten, dass ein Kraftfahrzeugrennen nicht vorliege, weil der "Wettbewerbscharakter" eines Rennens nicht gegeben sei.

Die Revision der Staatsanwaltschaft war erfolgreich. Für das Oberlandesgericht kam auch eine Verurteilung wegen illegalem Autorennen in Betracht. Der neue „Raserparagraph“ solle auch gerade die Fälle erfassen, in denen nur ein einziges Fahrzeug beteiligt sei. Bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen seien zwar nicht erfasst. Eine Strafbarkeit läge aber vor, wenn der Täter grob verkehrswidrig und rücksichtslos fahre und in der Absicht handele, die in der jeweiligen Situation höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Es müsse nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Das Bestreben, möglichst schnell voranzukommen, könne auch von anderen Zielen dienen. Etwa, um den Beifahrern zu imponieren, die Fahrzeugleistung zu testen oder verfolgende Fahrzeuge abzuhängen. Auch dann ginge der Renncharakter nicht verloren.

Nach diesen Maßstäben sei auch die Tat des Angeklagten von einem spezifischen Renncharakter geprägt. Es hätten sich die besonderen Risiken für den Straßenverkehr und seine Teilnehmer gezeigt. Ziel eines "Wettbewerbs" in diesem Sinne sei nicht der bloße Sieg, sondern die gelungene Flucht gewesen. Hinsichtlich des Risikos sei das Geschehen mit einem sportlichen Wettbewerb vergleichbar. Nunmehr muss das Landgericht unter dieser Maßgabe neu entscheiden.

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