Prof. Wolfgang Feist verdeutlichte in den internationalen Pressegesprächen, dass es auf jeden Fall einen Klimawandel geben wird: „Das CO2, das die Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten ansteigen lässt, ist schon vor vielen Jahren emittiert worden.“ Wie bei einer Infektion mit dem COVID-19-Virus treten auch in der Klimakrise die Symptome mit Verzögerung auf. Im Gegensatz zur Coronakrise, bei der „nur“ vier oder fünf Prozent der Bevölkerung ernsthaft betroffen seien, werde der Klimawandel jedoch über 60 Prozent der Bevölkerung negativ betreffen und die gesamte Zivilisation gefährden, erläuterte Feist.
„Katastrophalste Auswirkungen vermeiden!“
„Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber die Zukunft! Daher müssen wir jetzt starten, um die katastrophalsten Auswirkungen des Klimawandels noch zu vermeiden. Wir müssen uns wirklich anstrengen, aber wir können das noch schaffen!“ Positiv beurteilte Feist, dass in Deutschland mit einer bedeutend gewachsenen Wirtschaftsleistung seit 1990, auch bei wesentlich mehr Flügen, gefahrenen Kilometern etc. der Verbrauch an Primärenergie gesunken ist, vor allem seit dem Jahr 2000. „Das ist primär ein Ergebnis verbesserter Effizienz. Und das muss auch positiv kommuniziert werden.“
Erneuerbare Energie ausbauen
Feist ermunterte dazu, diese positive Entwicklung zu intensivieren, unter anderem den Ausbau erneuerbarer Energie. Der größte Anteil an Energie werde für Gebäudeheizung und Verkehr verbraucht. „Daher sind die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektrotraktion sowie energieeffiziente Gebäude entscheidender Teil der Lösung für mehr Klimaschutz“. Positiv überrascht habe ihn der European Green Deal der Europäischen Union: „Die EU hat offensichtlich verstanden, dass im Klimaschutz und dem Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft auch ein großes wirtschaftliches Potential steckt. Das ist eine große Chance für Europa!“, sagte Feist.
„Wärme im Passivhaus hält 14 Tage!“
Der Physiker zeigte am Beispiel des weltweit ersten Passivhauses in Darmstadt auf, wie drastisch der Bedarf für Heizwärme sinkt, wenn das Gebäude effizient gebaut wird. Durch die fünf Prinzipien – gute Dämmung, dreifach verglaste Fenster, Vermeidung von Wärmebrücken, luftdichte Gebäudehülle sowie die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung – benötigt ein Passivhaus im Winter nur extrem wenig Energie zum Heizen. „In einem Passivhaus hält sich die Wärme 10 bis 14 Tage, weil sie nur ganz langsam entweicht. Analog dazu sinkt in warmen Klimaten der Bedarf an Kühlenergie“, erläuterte Feist.
Weniger Energie nötig
Der Gründer des Passivhaus Instituts entwickelte Ende der neuzehnhundertachtziger Jahre den Passivhaus-Standard und baute daraufhin 1991 mit seiner Familie das weltweit erste Passivhaus in Darmstadt. Messungen im Objekt belegen, dass dieses Passivhaus mit einem jährlichen Heizwärmeverbrauch von durchschnittlich 8,4 kWh pro Quadratmeter und Jahr rund 87 Prozent weniger Energie verbraucht als ein herkömmliches Gebäude. Auch nach über 25 Jahren noch. „Das spricht für die Langlebigkeit der Komponenten, die auch in einer Studie belegt wird“, erklärte Feist.
Die Wärmerückgewinnung macht‘s
Es gebe noch immer Vorurteile gegen eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, da diese angeblich viel Strom verbrauche. „Doch der Einsatz von 10 oder 20 Watt für die Lüftungsanlage, die frische und vorgewärmte Luft ins Haus bringt, ist nur ein Bruchteil dessen, was an Energie wieder zugeführt werden muss, wenn der Luftaustausch ohne Wärmerückgewinnung geschieht. Das sind mehrere Hundert Watt“, erläuterte Feist. Zudem erhöhe eine Lüftungsanlage den Wohnkomfort.
Lüftungsanlage vorteilhaft
Aus dem Kreis der internationalen Teilnehmer der Pressekonferenzen kam die Frage, ob eine Lüftungsanlage auch in Zeiten von Corona Vorteile bedeute. Feists Antwort: Ein eindeutiges „Ja!“ Zur Erläuterung: Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung bringt frische, hygienische Luft ins Haus, keine umgewälzte Umluft. Zudem sind für Passivhäuser zertifizierte Anlagen grundsätzlich mit einem hocheffizienten Feinstaubfilter ausgerüstet. „Der hält sogar deutlich mehr Keime zurück als übliche Gesichtsmasken. Passivhäuser sind daher auch gut für die Gesundheit!“, erklärte Feist.
Effizienz und Erneuerbare
Als Traumpaar bezeichnete Feist die Kombination von Energieeffizienz des Gebäudes mit der Erzeugung erneuerbarer Energie. „Wenn die Gebäude nur noch sehr wenig Energie verbrauchen, dann kann ein so geringer Energiebedarf leicht mit regenerativer Energie gedeckt werden.“ Auch das Pilotprojekt in Darmstadt, in dem Feist bis heute mit seiner Familie wohnt, erhielt vor vier Jahren nachträglich eine Mini-Split-Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen sowie eine Photovoltaikanlage. Bilanziell gesehen produziert das weltweit erste Passivhaus übers Jahr gesehen mehr Energie, als das Gebäude und seine Bewohner benötigen.
Zukunft nachhaltig bauen
Allgemein anerkannt ist die Tatsache, dass für einen klimaneutralen Gebäudebestand die Sanierungsrate gesteigert werden muss. Feist stellte ein Mehrfamilienhaus in Nürnberg vor, das nach dem vom Passivhaus Institut entwickelten EnerPHit-Standard mit Passivhaus-Komponenten modernisiert wurde. „Die sanierten Wohnungen haben anschließend nur noch einen Heizwärmebedarf von rund 25 kWh/(m² a) anstatt zuvor über 200 kWh/(m² a). Wenn dann noch vermehrt Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen zum Einsatz kommen, dann wird die Zukunft nachhaltig gebaut“, so Feist.
In allen Klimaten umsetzbar
Er erläuterte weiter, dass der Passivhaus-Standard in allen Klimaten umgesetzt werden kann. Auf große Nationen wie China könne dabei nicht verzichtet werden. Erfreulicherweise werden gerade in China ganze Viertel im Passivhaus-Standard gebaut, darunter auch die Bahnstadt in Gaobeidian mit mehr als einer Million Quadratmeter an zertifizierter Passivhaus-Wohnfläche.
Graue Energie
Bei der Frage der grauen Energie verwies Feist darauf, dass der größte Anteil des Energieverbrauchs nicht durch die Baumaterialien entsteht, sondern während der langjährigen Nutzung durch die Bewohner. „Energieeffiziente Gebäude sind der Schlüssel. Und selbstverständlich können diese auch aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut werden. Das zeigen zahlreiche Holz-Passivhäuser“, erklärte der Gründer des Passivhaus Instituts.
Tage des Passivhauses
Gelegenheit, ein Passivhaus kennenzulernen gibt es unter anderem derzeit bei der Sommerausgabe der Tage der offenen Tür im Passivhaus. Dabei stellen Bewohner ihre Passivhäuser vor, angepasst an die aktuelle Lage virtuell per Video.
Allgemeine Informationen
Passivhäuser
Beim Passivhaus-Konzept wird der für Gebäude typische Wärmeverlust durch Wände, Fenster und Dach drastisch reduziert: u.a. durch eine hochwertige Wärmedämmung, Fenster mit dreifacher Verglasung sowie eine luftdichte Gebäudehülle. Die insgesamt fünf Grundprinzipien sorgen dafür, dass Passivhäuser ohne klassische Gebäudeheizung auskommen. „Passiv“ werden die Häuser genannt, da der größte Teil des Wärmebedarfs aus „passiven“ Quellen wie Sonneneinstrahlung sowie Abwärme von Personen und technischen Geräten gedeckt wird.
Da die Wärme in einem Passivhaus lange verbleibt, muss nur an sehr kalten Tagen aktiv geheizt werden. Insgesamt ist sehr wenig Energie für die Bereitstellung dieser Restwärme vonnöten. Im Sommer ist ein Passivhaus ebenfalls im Vorteil: Dann bewirkt die gute Dämmung, dass die Hitze draußen bleibt. Eine aktive Kühlung ist daher in Wohngebäuden in der Regel nicht nötig. Durch die niedrigen Energiekosten im Passivhaus sind die Nebenkosten kalkulierbar – eine Grundlage für bezahlbares Wohnen und sozialen Wohnungsbau. Ein Passivhaus verbraucht rund 90 Prozent weniger Heizwärme als ein bestehendes Gebäude und 75 Prozent weniger als ein durchschnittlicher Neubau.
Passivhaus und NZEB
Der Passivhaus-Standard erfüllt die Anforderungen der Europäischen Union an Nearly Zero Energy Buildings. Laut der Europäischen Gebäuderichtlinie EPBD müssen die Mitgliedstaaten die Anforderungen an so genannte Fast-Nullenergiehäuser (NZEB) in ihren nationalen Bauvorschriften festlegen. Die Richtlinie der EU ist seit Januar 2019 für öffentliche Gebäude in Kraft und gilt für alle anderen Gebäude ab dem Jahr 2021.
Pionierprojekt
Das weltweit erste Passivhaus errichteten vier private Bauherren, darunter Dr. Wolfgang Feist, vor über 28 Jahren in Darmstadt-Kranichstein. Die Reihenhäuser gelten seit dem Einzug der Familien 1991 als Pionierprojekt für den Passivhaus-Standard. Das Pionier-Passivhaus nutzt mit seiner neuen Photovoltaikanlage nun erneuerbare Energie und erhielt das Zertifikat zum Passivhaus Plus.
Passivhaus und erneuerbare Energie
Der Passivhaus-Standard lässt sich gut mit der Erzeugung erneuerbarer Energie direkt am Gebäude kombinieren. Seit April 2015 gibt es für dieses Versorgungskonzept die neuen Gebäudeklassen „Plus“ und „Premium“.
Passivhäuser
Mittlerweile gibt es Passivhäuser für alle Nutzungsarten: Neben Wohn- und Bürogebäuden existieren auch Kitas und Schulen, Sporthallen, Schwimmbäder und Fabriken als Passivhäuser. In Frankfurt am Main entsteht gerade die weltweit erste Passivhaus-Klinik. Das Interesse steigt stetig. Mit Blick auf den Ressourcenverbrauch der Industrieländer sowie den Klimaschutz setzen Kommunen, Unternehmen und Privatleute einen Neubau oder eine Sanierung zunehmend im Passivhaus-Standard um.
Internationale Passivhaustagung
Die 24. Internationale Passivhaustagung findet im September 2020 als Online-Veranstaltung statt.
Das Passivhaus Institut mit Sitz in Darmstadt ist ein unabhängiges Forschungsinstitut zur hocheffizienten Nutzung von Energie bei Gebäuden. Das von Dr. Wolfgang Feist gegründete Institut belegt eine internationale Spitzen-position bei der Forschung und Entwicklung zum energieeffizienten Bauen. Dr. Wolfgang Feist erhielt unter anderem 2001 den DBU-Umweltpreis für die Entwicklung des Passivhaus-Konzepts.
Passivhaus Institut
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