Copy & Paste. Wiederholung im japanischen Bild

Wiederholen und Kopieren gelten in der japanischen Kultur als Grundlagen für künstlerisches Schaffen. Fern des Originalitätsparadigmas der europäischen Moderne ist das Nachahmen und Vervielfältigen hier selbstverständlich. Es wird als Hommage an frühe Meister verstanden und als Einschreiben in Bildtraditionen offen praktiziert. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) besitzt einen herausragenden Schatz an japanischer Malerei und Grafik, der es erlaubt, Künstler*innen „über die Schulter“ zu schauen. In der Ausstellung Copy & Paste. Wiederholung im japanischen Bild geben rund 100 Skizzen, Farbholzschnitte, Hängerollen, Bücher und Stellschirme aus der Ostasien-Sammlung Einblick in die Grundlagen der japanischen visuellen Kultur in der späten Edo- (1603–1868) und der Meiji-Zeit (1868–1912). Copy & Paste spürt dabei dem Entstehen, der Weiterentwicklung, der Verbreitung und der Adaption von Bildern in der Kultur Japans bis heute nach. Die Ausstellung präsentiert herausragende japanische Holzschnitt-meister wie Katsushika Hokusai (1760–1849), Toyohara Kunichika (1835–1900), und Utagawa Kuniyoshi (1798–1861) sowie bedeutende Maler*innen des 19. Jahrhunderts wie Kawanabe Kyōsai (1831–1889) und Suzuki Kiitsu (1796–1858). Ihre Werke waren für europäische Künstler*innen um 1900 wegweisend und inspirieren bis heute Kunst-schaffende weltweit. Das wohl berühmteste Beispiel hierfür ist Hokusais als Große Welle bekannter Farbholzschnitt Unter der Welle vor Kanagawa (1830–31), der adaptiert, künstlerisch weitergetragen und sogar massenhaft auf Postkarten, Tassen und T-Shirts reproduziert wird. Werke von so unterschiedlichen Künstler*innen wie Higuchi Akihiro (*1969), Yokoo Tadanori (*1936) und Horst Janssen (1929–1995) zeigen, wie berühmte japanische Farbholzschnitte und Malereien bis heute künstlerische Schaffensprozesse prägen.

Von Bild zu Bild – Der Schaffensprozess

Im Zentrum der Ausstellung steht nicht das singuläre Bild als Original, sondern das Bild oder die Bildfindung als Teil eines künstlerischen Prozesses, der an der Abfolge von Bildern auf unterschiedlichen Medien und in verschiedenen Schaffensphasen einzelner oder mehrer Künstler*innen nachvollziehbar ist. Die Ausstellung zeigt Farbholzschnitte zusammen mit ihren jeweiligen Vorzeichnungen, die mitunter aufgeklebte oder andersfarbige Übermalungen aufweisen. Auch Probedrucke, die nur die Konturen eines Bildes wiedergeben, lassen sich mit vollständig gedruckten Blättern vergleichen. Varianten des gleichen Druckes mit abweichenden Farbzusammensetzungen machen die Veränderung des kommerziell erfolgreichen Bildes im Verlauf von Nachdrucken deutlich. Zudem präsentiert die Schau illustrierte Holzschnittbücher wie das 15-bändige Hokusai-Manga (Skizzen von Hokusai, 1814–1878), die sowohl als Mallehrbuch aber auch als eine Art Werkverzeichnis einzelner Künstler*innen oder Malschulen verstanden werden können. Gerade die gedruckten Vorlagenbücher zeigen, wie die künstlerische Ausbildung und die Vermarktung von Künstler*innen ineinander greifen. Die Besucher*innen können einzelne Bildfindungen durch verschiedene Medien von der Zeichnung über den Holzschnitt bis zu den gedruckten Vorlagenbüchern und Bildadaptionen durch andere Künstler*innen nachverfolgen. Vor diesem Hintergrund treten die Bilder als Medien in einer visuell und nicht textlich vermittelten Kunstgeschichte auf. Das aufgezeigte Wiederholen und Kopieren der Bilder regt zur Reflektion vermeintlich überholter, letztlich aber doch hartnäckiger Paradigmen der europäischen Kunstgeschichte wie Originalität und Individualität an.

Das kopierte Bild – Künstlerische Fortführungen

Bilder können über das eigentliche Werk hinaus durch Reproduktionen, Adaptionen und Kopien einen großen Wirkraum entfalten und noch lange nach ihrer Entstehung großes Potential für künstlerisches Schaffen freisetzen. Herausragend für die Inspirationskraft japanischer Holzschnitte über den Japonismus in Europa um 1900 hinaus ist die Entwicklung und Verbreitung von Hokusais Unter der Welle vor Kanagawa (1830–31) zum global icon, einem weltweiten Bildzeichen, das allgemein als Große Welle bezeichnet wird. Zu sehen sind neben dem eigentlichen Holzschnitt auch ausgewählte Variationen Hokusais von der Großen Welle, die die Wirkkraft dieser einzigartigen Komposition belegen, sowie Beispiele für die vielfältige kommerzielle und künstlerische Nutzung des Bildes heute. Aber nicht nur einzelne Holzschnitte, sondern die japanische Bilderwelt des 19. Jahrhunderts insgesamt ist ein wichtiger Bezugspunkt für viele Künstler*innen, die vor allem, aber nicht nur in Japan arbeiten. Beispiele japanischer Künstler*innen wie die bemalten Nachtfalter des Higuchi Akihiro (*1969) und Siebdrucke von Yokoo Tadanori (*1936) zeigen, wie die individuelle Adaption vormoderner japanischer Bilder Schaffensprozesse zeitgenössischer Künstler*innen prägt. Einige der ausgestellten Vorzeichnungen und Grafiken waren speziell für den norddeutschen Künstler Horst Janssen (1929–1995) von großer Bedeutung. In den 1970er Jahren entwickelte er durch das Nachzeichnen japanischer Grafiken eine ganz eigene Auffassung von der Kopie als künstlerischem Mittel.

Das Sammeln der Bilder – Gerhard Schack

Die Ausstellung beleuchtet in diesem Zusammenhang auch den Hamburger Sammler Gerhard Schack (1929–2007). Er war in der Hamburger Kunstszene als Kunsthistoriker, Verleger und Mäzen seit den 1970er Jahren bis zu seinen Tod aktiv und vor allem in der Hamburger Kunsthalle ein häufiger Gast. 2007 hinterließ Gerhard Schack dem MKG über 2700 Vorzeichnungen, Skizzen, Holzschnitte, Hängerollen und illustrierte Holzschnittbücher. Die Sammlung lässt erkennen, dass Schack an dem Schaffensprozess der Bilder, an dem skizzenhaften, aber dadurch umso kraftvolleren Pinselstrich interessiert war. Mit seiner eigenen Faszination für japanische Bilder begeisterte er auch Horst Janssen, von dem Gerhard Schack ebenfalls eine umfassende Sammlung anlegte, die sich heute in der Hamburger Kunsthalle befindet. In Vorbereitung auf die Ausstellung wird die Sammlung Gerhard Schack im MKG neu geordnet, erfasst und digitalisiert, um sie dauerhaft in der MKG Sammlung Online der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gerhard Schack mit seiner ganz persönlichen Auffassung vom Kopieren stellt die Ausstellung mit künstlerisch gestalteten Briefen an Weggefährt*innen der Kunstszene vor.

Eine Ausstellung im Rahmen des von der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geförderten Projektes zur wissenschaftlichen Erschließung der Sammlung Ostasien.

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