Raus aus der Coronakrise mit Erneuerbaren Energien

Peter Droege, Präsident von EUROSOLAR, Axel Berg, Vorsitzender der deutschen Sektion, und Claus P. Baumeister, EUROSOLAR-Kurator, erklären gemeinsam:

Die in der Coronakrise neu entdeckte Kapazität zu schnellen und umfassenden finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen darf nicht nur dazu führen, alte und umweltschädliche Industrien wieder hochzufahren. Sie muss auf den Kampf gegen die eskalierende Klimakatastrophe übertragen werden: Diese ist ungleich gefährlicher für unsere Gesundheit und die Wirtschaft und wütet bereits wesentlich länger.

Jetzt gilt es, die augenblickliche Finanzierungsbereitschaft der öffentlichen Hand – von EU, Bund, Ländern und Kommunen – für eine rapide Umsetzung der Energiewende einzusetzen. Es geht uns um eine friedliche und friedensstärkende Mobilisierung aller Kräfte. Der Regenerative Corona-Stimulus muss heute genutzt werden – und nicht erst nach der Krise.

Keine gesellschaftliche Kosten entstehen, wenn ab sofort weniger fatale und verschwenderische Branchen gestützt, sondern stattdessen ein gezielter, radikal dekarbonisierter Energiemarktrahmen gesetzt und so erneuerbare Technologien entfesselt werden. Befreit von den gegenwärtig bestehenden bürokratischen Hürden entwickeln sich regenerative Aktivitäten, Beschäftigungszahlen und neue Industrien wie von selbst.

Die Medien sind täglich voll mit neuen Fallzahlen und Narrativen zur Coronakrise, ihren medizinischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sowie individuellen Schicksalen. Die wesentlich brisantere und bedrohlichere Klimadestabilisierung und die existenzielle Bedeutung einer sofortigen Energiewende als essenzielle Grundlage aller ökologischen Maßnahmen – von der Landwirtschaft bis zum Verkehr – sind völlig aus dem Blickfeld geraten.

Das Grauen, das Covid-19 bei Vielen auslöst, ist nichts Neues für alle, die sich der Schrecken der Erderhitzung bewusst sind. So furchterregend das neue Virus auch ist, die fossile Energieabhängigkeit und die hierdurch und durch verfehlte Bodennutzung ausgelösten Dürren, Brände, Hitzewellen und Überschwemmungen haben bereits heute ungleich mehr Menschenleben als Corona gefordert und sind damit in ihrer Mortalität weit höher als das Virus je werden kann. EUROSOLAR ist zentraler Teil der breiten gesellschaftlichen Bewegung hin zu einer regenerativen Kultur. Unser Beitrag liegt in der Grundforderung, eine nachhaltige Infrastruktur für unsere Wirtschaft, Gesellschaft und Zukunft sofort umzusetzen, heute, zusammen. Deshalb dieser Aufruf.

Die bekannten Prinzipien der dezentralen und resilienten Energiewende zu 100 Prozent regenerativer Versorgung können, durch einen klugen Einsatz der erforderlichen Covid-19-Stimuluspakete, sowohl einen kurzfristig stabilisierenden Zweck verfolgen als auch auf lange Sicht – durch den unmittelbaren Umbau unserer Energie- und Grundversorgungsinfrastruktur – das Überleben der Menschen auf dem Planeten bewerkstelligen. Hierdurch können auch alle bestehenden ökologischen und klimastabilisierenden Ziele erreicht werden.

Europaweit löst der Energiesektor 75 Prozent aller CO2-Emissionen aus. Der totale Umbau ist seit Jahrzehnten überfällig. Der auf europäischer Ebene angedachte „Green Deal“ mit seinen langfristigen Zielsetzungen und unscharfen Maßnahmen ist aus klima- und energiepolitischer Sicht völlig unzureichend. Der „Green Recovery Plan” der Corporate Leaders Group von 180 Unternehmen fordert, dass jeder Stimulus-Plan ein „Grüner Deal-Stimulus“ ist. Organisationen von der IEA bis zur – einst von EUROSOLAR initiierten – IRENA verweisen auf Post-Corona-Pläne bis 2050. Das ist aber zu weit entfernt, um als Ziel ernst genommen werden zu können. Auch die existenzielle Bedrohung des Weiterfahrens atomarer Reaktoren – oft fälschlich im Interesse des Klimaschutzes argumentiert und im ‘Green Deal’ versteckt – verschwindet unter den Corona-Berichten: So drückt der heute nach Wochen weiter wütende Waldbrand um Tschernobyl doch alles aus, was sich an unserer Energie- und Umweltpolitik ändern muss.

Erneuerbare Energien bedeuten

  1. a) Steigerung der Resilienz durch Dezentralität und Verringerung der Importabhängigkeit Deutschlands und Europas durch Energieautonomie
  2. b) Beitrag zum Frieden, weil Ressourcenkonflikte vermindert werden. Potenziell kann sich jedes Land durch Erneuerbare Energien selbst versorgen
  3. c) die Grundbedingung für Klimastabilisierung und die Bremsung der Klimakatastrophe.

Wir müssen jetzt, in der Coronazeit, die Gelegenheit zum Handeln ergreifen, uns Ziele stecken und konkrete Schritte umsetzen. Diese Prioritäten sind marktgerecht in einem von fossilen und atomaren Subventionen befreiten Rahmen kostenneutral ohne Subventionen umsetzbar. Sie sind Teil eines beschleunigten Infrastrukturprogramms, in dem öffentliche Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielen. Investitionen in Erneuerbare Energien sind ein selbsttragendes Konjunkturprogramm, wenn die Marktblockaden und Hemmnisse für die Erneuerbaren Energien durch eine neue Energiemarktordnung* abgebaut werden. Statt für importiertes Öl, Gas und Kohle zu bezahlen, können zuhause Technologien entwickelt, Projekte betreut, Anlagen hergestellt und von Handwerkern aufgebaut werden. Investitionen ersetzen dann Importe. Wenn die Blockade der Erneuerbaren Energien in Deutschland und der EU aufgehoben wird, kann eine Vielzahl der von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten aufgefangen werden, ohne den Staatshaushalt zu belasten.

Die Einführung dieser neuen Energiemarktordnung für den Wirtschaftsimpuls kann durch gezielte Corona/Klima-Notprogramme noch gesteigert und beschleunigt werden. Ganz konkret und schnell umsetzbar:

1 Ende der PV-Blockade

Der 52-GW-Deckel muss sofort beseitigt und die Erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. Zusätzlich kann ein spezielles ‚Corona‘-1-Million-Dächer-und-Fassaden-Programm mit Investitionsförderung von 200-300 €/kWp mit einem Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro aufgelegt werden. Beides kann EEG-unabhängig und kombinierbar mit lokalen Speichern umgesetzt werden.

2 Ende der Speicher-Blockade durch eine befreiende Energiemarktordung PLUS Corona-Förderung in Höhe von etwa 3 x 300 €/kWh

Dabei beteiligen sich Staat, Hersteller und Netzbetreiber mit jeweils 300 €. Die Investitionszulage wird mit kostenloser Netzeinspeisung von Übererträgen ausgeglichen.

3 Entfesselung der Windkraft durch qualitative Regeln

Mit sinnvollen Vorschriften wie etwa ‘keine Schlagschatten auf Gebäude’ und maximal zulässige Schallbelastung anstelle rigider Abstandsregeln, elektronischsensorischen Vogelschutz, Bürgerbeteiligung und Nachbarschaftsprämien sowie kalkulierbare Basisvergütung jenseits der volatilen Strombörsenkurse kann die notwendige Akzeptanz für Windkraft gewonnen und ihr notwendiger Ausbau umgesetzt werden. Für Bund und Länder fallen dadurch keine zusätzlichen Kosten an.

4 Power2Gas per Elektrolyse von PV-Überkapazitäten und Brennstoffzellen-Verstromung als dezentrale Langzeitspeicher

Dies ist bereits seit einem Jahrzehnt überfällig. Anstelle H2-Technologie sollten Batterietechnologien für PKW gefördert werden. Sie haben einen deutlich höheren Wirkungsgrad und bald auch die entsprechenden Kapazitäten/kg für größere Reichweiten – lange bevor das rudimentäre H2-Tankstellennetz für viel Geld auch nur halbwegs praxisgerecht ausgebaut werden kann. Außerdem müssen großtechnische erneuerbare Power2X-Entwicklung und ihre Nutzung gefördert werden, ebenso wie die Erzeugung von Wasserstoff mit Stromüberschüssen aus Erneuerbare Energien-Anlagen in Erdgas-kompatibler Qualität. Zusätzliche Förderung der Forschung und Entwicklung im Rahmen von einer Milliarde Euro wären hier eine sinnvolle Zukunftsinvestition

5 Energieeffizienz-Potenziale bei Gebäuden ausschöpfen

Im Gebäudebereich muss die Erneuerungsrate verdreifacht werden. Fehlförderung der unzureichenden EnEV-KfW-Standards gehören eingestellt. Dringend notwendig ist ein adäquater Passivhaus-Standard und das Verbot neuer fossiler Heizsysteme, um überflüssige Heiz- und zunehmend auch Kühlleistungen bei den Gebäuden drastisch zu reduzieren. Stattdessen müssen letztlich alle Verbräuche monovalent mit regenerativem Strom abgedeckt werden. Dies sollte durch energetisch ausgerichtete Bebauungspläne (Architektur, Gebäudeausrichtung etc.) unterstützt werden. Für den Staat fallen dadurch keine Kosten an, denn weniger Passivhäuser könnten mit höheren Summen der entfallenen EnEV-KfW-Förderungen unterstützt werden.  

6 Verkehrswende mit öffentlicher Finanzierung des ÖPNV u.a.

Darunter fallen kostenlose Nahverkehrsangebote und der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur. Umweltschädliche Abwrackprämien für Autos müssen abgeschafft werden und Fehlförderung für Hybride sollten auf kleine E-Fahrzeuge umlenkt werden. Städte, die nun durch die Corona-Maßnahmen an stark reduzierten Autoverkehr gewöhnt sind, können jetzt auch langfristig daran gehen, weiträumig autofreie und -arme Zonen einzurichten und Fahrspuren in öffentliche Bereiche, kühlende Grünzonen und Radwege umzuwidmen. Auch diese Maßnahme kann kostenneutral gestaltet werden, wenn unsinnige Subventionen für Diesel, Hybride und Pendlerpauschale umgelenkt werden. 

7 Wichtig nicht nur in Coronazeiten: Gesunder Menschenverstand statt unnötige Technik in der „Digitalisierung“

Beispiel: Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende erzwingt ein datenschutztechnisch bedenkliches und unnötig komplexes Smart Metering auf Netzebene. Dabei sind die Stimulation von lokalem Smart Metering und Lastmanagement mit Hilfe automatisierter Gebäude wesentlich effektiver und einfacher: ausgereifte technische Lösungen sind seit 20 Jahren verfügbar.

Auf diesem Gebiet gibt es ein Milliarden-Einsparpotenzial zu heben: Denn 40 Millionen neue Zähler der Netzbetreiber, die von den Messstellenbetreibern bezahlt werden müssen, könnten wegfallen. Stattdessen kämen kostengünstige lokale Lösungen zum Zuge.  Auch allgemein gilt: Der gigantische Energiebedarf überdimensionierter IT- und Kommunikationssysteme muss dringend herunter gefahren werden: So könnte man eine sinnvolle, corona-gerechte Gestaltung der „Digitalisierung" – sprich kluge Vernetzung und Internet-Anwendungen – gestalten, um kontraproduktive Effekte, die die Effizienzgewinne der Hardware (über-)kompensieren, zu vermeiden. Denn merke: Viel Bandbreite und hohe Auflösung gibt es nur zum Preis überdimensionierter Rechenleistungen. Deshalb gilt es weniger Video- statt Telefonkonferenzen abzuhalten, nicht immer mehr Streaming statt linearem Broadcast-TV zu nutzen, solange eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien noch nicht in Reichweite ist.

Die App-gefeuerte Sharing Economy hat die verkündeten positiven Effekte bislang überhaupt klar verfehlt. Car-Sharing und Uber-artige Systeme führen nach aktuellen Studien nicht zu weniger, sondern zu mehr Autos und Fahrbewegungen auf den Straßen.

Mit Dank an EUROSOLAR-Vizepräsident Dr. Fabio Longo für seinen Beitrag und Kommentar.

*Zum Weiterlesen:

Ohne beschleunigte Energiewende ist ernstzunehmender Klimaschutz unmöglich“ 

EUROSOLAR‐Memorandum zum Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ 

Neue Energiemarktordnung (NEMO) für die dezentrale Energiewende 

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