Dürfen Baustellen aktuell noch weiterbetrieben werden?
Stefan Reichert: Natürlich kommt es immer auf den Einzelfall an. Aber die aktuelle Rechtslage erlaubt grundsätzlich den Betrieb von Baustellen. Das Bundesinnenministerium, das auch das Bauministerium verantwortet, hat soeben die Wichtigkeit der Fortführung von Baumaßnahmen unterstrichen. Auf dem Bau hat der Gesundheitsschutz oberste Priorität. Bauherr und ausführende Firmen müssen dafür sorgen, dass die angeordneten Maßnahmen bestmöglich eingehalten werden.
Auf welche Maßnahmen ist auf dem Bau besonders zu achten?
Julia Gerhardter: Um die Ansteckungsgefahr bei laufendem Baubetrieb so weit wie möglich zu minimieren, empfiehlt die Berufsgenossenschaft Bau, dass alle die wichtigsten Hygieneregeln einhalten. Also, richtiges Händewaschen und in die Armbeuge husten und niesen. Außerdem sollen Arbeitsabläufe auf der Baustelle so gestaltet sein, dass der notwendige Mindestabstand eingehalten werden kann.
Was, wenn der Kunde in finanzielle Schwierigkeiten gerät? Darf er aufgrund der Corona-Pandemie erst einmal nicht bezahlen?
Stefan Reichert: Nur in sehr begrenzten Einzelfällen. Der Bundestag hat zwar am 25.03.2020 das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ beschlossen. Dieses beinhaltet jedoch nur einen Aufschub für Verbraucher und Kleinstunternehmer.
Julia Gerhardter: Kunden dürfen Zahlungen im Zusammenhang mit einem so genannten „wesentlichen Dauerschuldverhältnis“ verweigern. Darunter sind für Verbraucher Geschäfte zur Deckung der angemessenen Daseinsvorsorge wie Strom, Gas, Wasser, oder für Kleinstbetriebe Geschäfte zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebes zu verstehen. Da Bauverträge normalerweise keine wesentlichen Dauerschuldverhältnisse sind, gilt dieses Leistungsverweigerungsrecht somit für den Bau nicht.
Was passiert, wenn sich aufgrund personeller Ausfälle Fristen nicht halten lassen: Verlängert die Corona-Pandemie dann Ausführungsfristen?
Stefan Reichert: Wie so oft, muss auch hier immer eine konkrete Einzelfallprüfung stattfinden. Beruft sich der Auftragnehmer etwa auf eine Behinderung durch höhere Gewalt – und die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, diesen Tatbestand zu erfüllen – stehen dem Auftraggeber keine Schadens- oder Entschädigungsansprüche gegen den Auftragnehmer zu. Beruft sich der Unternehmer auf höhere Gewalt, muss er aber darlegen, warum er seine Leistung nicht erbringen kann.
Gilt das auch, wenn einige Mitarbeiter oder deren Angehörige an Corona erkrankt sind und deswegen nicht zur Arbeit dürfen?
Julia Gerhardter: Nein. Das wäre erst dann der Fall, wenn der Betrieb des Auftragnehmers etwa aufgrund der Pandemie vorübergehend geschlossen würde oder ein Großteil der Beschäftigten behördenseitig unter Quarantäne gestellt ist und der Unternehmer auf dem Arbeitsmarkt oder durch Nachunternehmer keinen Ersatz findet. Eine Behinderung kann außerdem vorliegen, wenn aufgrund von verschärften Ausgangsbeschränkungen die Arbeit zum Beispiel am Bau untersagt wird oder die Beschäftigten aufgrund von Reisebeschränkungen die Baustelle nicht erreichen können und kein Ersatz möglich ist.
Kann sich auch der Auftraggeber auf das Vorliegen höherer Gewalt berufen?
Stefan Reichert: Im Einzelfall, ja! Höhere Gewalt kann auch auf Seiten des Auftraggebers eintreten, beispielsweise, weil die Projektleitung unter Quarantäne gestellt wird, kein Homeoffice möglich ist und keine Vertretung organisiert werden kann.
Julia Gerhardter: Falls im Einzelfall höhere Gewalt vorliegt, verlängern sich Ausführungsfristen automatisch um die Dauer der Behinderung plus eines angemessenen Zeitzuschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten.
Was passiert, wenn ich als Auftragnehmer keine Baustoffe mehr kaufen kann, weil der Lieferant unter Quarantäne steht?
Julia Gerhardter: Dann kann die Leistung „unmöglich“ sein. Das bedeutet, dass die Leistungspflicht entfällt, wenn sich die Leistung nach Vertragsschluss unmöglich erbringen lässt. Auch wenn die Leistung nur mit unverhältnismäßig aufwendigen Mitteln zu erbringen ist, kann der Schuldner die Leistung verweigern. Muss die Leistung nach einer dieser Konstellationen nicht erbracht werden, wird auch der Gläubiger von seiner Zahlungspflicht befreit.
Stefan Reichert: Aber Vorsicht: Die rechtliche „Unmöglichkeit“ verlangt grundsätzlich ein dauerndes Leistungshindernis im Sinne einer „generellen Unerfüllbarkeit“. Auch wenn wir aktuell nicht wissen, wie lange die Ausnahmesituation noch anhält, ist die Corona-Pandemie dennoch zeitlich begrenzt. Vorübergehende Leistungshindernisse führen also grundsätzlich nur zum Verzug oder zu Ansprüchen aus Bauablaufstörungen.
Ausnahmen davon gelten nur dann, wenn die Ausübung der konkreten Tätigkeit behördlich untersagt ist oder der Rechtzeitigkeit der Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt eine derart hohe Wichtigkeit zukommt, dass die Leistung nach diesem Zeitpunkt schlicht keinen Sinn mehr machen würde. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn die Lieferung von Silvesterraketen bis spätestens am 31.12. um 23:50 Uhr bestellt wurde. Am 01.01. gäbe es dafür schlicht kein Bedarf mehr. In Bauverträgen sind solche „absoluten Fixgeschäfte“ sehr selten. Die Vereinbarung bestimmter Ausführungsfristen reicht hierfür noch nicht aus.
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