AvD-Podium zur Landtagswahl in Thüringen

  • Spitzenpolitiker äußerten sich in Weimar zu ihrer Mobilitätspolitik
  • Standort Eisenach sichern und Kölleda nicht vergessen
  • Einheitlicher Verkehrsverbund in Thüringen bleibt umstritten

Im Rahmen einer öffentlichen Podiumsveranstaltung zur Verkehrspolitik in Thüringen befragte der Automobilclub von Deutschland (AvD) am 16. Oktober in Weimar Spitzenpolitiker der im Landtag vertretenen Parteien. Anlässlich der bevorstehenden Landtagswahlen am 27. Oktober diskutierten die Moderatoren Clarsen Ratz (AvD) und Fabian Klaus (Thüringer Landeszeitung) im Mercedes-Autohaus Russ & Janot mit den Parteivertretern deren Positionen.

Der AvD hatte vorab Fragen zu den verkehrspolitischen Vorstellungen für die kommende Legislaturperiode als sogenannte Wahlprüfsteinen formuliert und den sechs maßgeblichen Partei zugeschickt. Die dem AvD übermittelten Antworten dienten als Grundlage für die Diskussion.

Der Einladung des AvD folgten Dirk Adams, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Thüringen, Fraktionsvorsitzender im Landtag Thüringen, Mike Mohring, Vorsitzender der CDU Thüringen und deren Landtagsfraktion, Dr. Gudrun Lukin, DIE LINKE, Verkehrspolitische Sprecherin und Mitglied des Thüringer Landtags, Thomas Kemmerich, Vorsitzender des FDP-Landesverbandes Thüringen, sowie Eleonore Mühlbauer, Vize-Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Thüringen. Trotz schriftlicher Zusage war der Vorsitzende der Thüringer AfD, Björn Höcke, nicht gekommen.

AvD will für die Interessen seiner Mitglieder eintreten

AvD-Präsident Ludwig Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg begrüßte die Anwesenden und betonte, dass der traditionsreiche AvD sich sehr wohl als politische Organisation begreife, parteipolitisch aber strikte Neutralität wahre. Der Club trete aber entschieden für die Interessen seiner Mitglieder ein, deshalb sei es wichtig, die Positionen der Parteien zu erfragen und kennenzulernen. Der Überparteilichkeit verpflichtet, habe man allen großen Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und Einladungen ausgesprochen. Fürst zu Löwenstein ermutigte die Anwesenden, sich im Wahlkampf für die Demokratie einzusetzen und jeder Form von Extremismus eine deutliche Absage zu erteilen.

Die Fragen von Fabian Klaus und Clarsen Ratz führten zu lebhaften Diskussionen, die unterschiedlichen Auffassungen der Politiker in angesprochenen Bereichen der Mobilitätspolitik traten deutlich hervor.

Eleonore Mühlbauer (SPD) plädierte für Realismus bei der Quote von Elektrofahrzeugen am gesamten Markt von Kraftfahrzeugen. Sie gehe von einem Anteil von maximal 30 Prozent aus. Sie selbst fahre zwar einen elektrischen Pkw, aber man müsse realistisch bleiben und die technischen Möglichkeiten der Stromnetze berücksichtigen. Auch trotz der propagierten Mobilitätswende werde der Verbrennungsmotoren noch lange Jahre nicht zu ersetzen sein und eine maßgebliche Rolle spielen.

Thomas Kemmerer (FDP) sprach sich ebenfalls dafür aus, die Entwicklungspotentiale der Verbrennungsmotoren, insbesondere des Diesels, nicht zu vernachlässigen. Die immensen Fortschritte der Entwicklung, die zu verzeichnen seien, müssten weiter genutzt werden. Die Standorte und Zentren in Thüringen, die sich mit der Mobilität befassten, sollte das vorhandene Potential von Qualifikationen, Knowhow und Strukturen nutzen, was immer im Mittelpunkt von möglichen Förderungen stehen müsse.

Dr. Gudrun Lukin (DIE LINKE) unterstrich die Bedeutung des Fußverkehrs gerade im Nahbereich, man sollte dies bei Überlegungen und Planungen nicht vergessen. Für die weitere Entwicklung des Standortes sei Zusammenarbeit von kleinen und mittleren Unternehmen mit den regionalen Universitäten sinnvoll und notwendig. Die wenigsten der im Grundsatz innovationskräftigen Thüringer Unternehmen verfügten bedauerlicherweise über die erforderlichen internationalen Kontakte. Hier müsse die Politik unterstützen, zumal die Universitätslandschaft gerade im Bereich der Mobilität gut aufgestellt sei.

Dirk Adams (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) sprach sich für einen differenzierten Blick auf die Mobilitätsbedürfnisse im Alltag aus. Die Verkehrsmittelwahl treffe er, wie viele andere Bürger auch, nach den eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Im Nahbereich gehöre dazu das Fahrrad, darüber hinaus sind Bahn und Bus immer mit einzubeziehen.

Auch Mike Mohring (CDU) trifft, nach eigener Aussage, die Verkehrsmittelwahl entsprechend seines jeweiligen praktischen Bedarfs. Ein eigenes Auto besitze er gar nicht, sondern fahre mit seinen Dienstwagen auch privat – dank einer entsprechenden Nutzungsvereinbarung. Busse und Bahnen sei je nach Fahrtziel ebenfalls eine Option. Generell gelte es, mit den vorhandenen „Clustern“ in Thüringen die Mobilität der Zukunft zu entwickeln. „Verbrenner-Technologie brauchen wir“, sie werde auch in Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Die weitere Entwicklung müsse daher in jedem Fall technologieoffen geführt werden.

Sicherung des Standortes Thüringen ist Anliegen aller Podiumsteilnehmer

Alle Diskutanten bekannten sich zur öffentlichen Förderung von Forschung und Entwicklung der Wirtschaft und Industrie als auch in Schule und Hochschule. Unterschiedlich bewertet wurde, ob direkt Standorte oder mehr strukturell gefördert werden soll.

Mohring (CDU) betonte, es gehe nicht nur um Opel, sondern auch um die Zuliefer-Industrie. Man müsse verlässliche Rahmenbedingungen bieten und der Industrie helfen sich zu vernetzen. Auch sei eine bessere Verbindung von Schule und Ausbildung mit der Wirtschaft nötig. Dazu müsse man auch andere Ebenen, wie den Bund oder die EU bei den Förderungen in die Pflicht nehmen. Gerade die jungen Bundesländer könnten auf diese Weise Innovationssprünge machen. Er schlug vor, bei Forschungsinvestitionen verstärkt degressive Abschreibungsmöglichkeiten zu gewähren.

Kemmerich (FDP) forderte einen veränderten Rechtsrahmen für Förderungen. Thüringen dürfe nicht „die verlängerte Werkbank“ für anderorts angesiedelte Unternehmen sein. Die vorhandenen Ressourcen an gut qualifizierten Mitarbeitern und Fach-Institutionen müssten künftig besser genutzt werden, damit wieder mehr  vor Ort investiert werde. Damit könne man auch vermeiden, dass sich zum Beispiel am Standort Eisenach die Mitarbeiter zu jedem Weihnachtsfest aufs neue Sorgen um ihre Zukunft machen müssten. Des Weiteren setze er sich für einen Abbau von Bürokratie rund um die Gründung von Unternehmen sowie einen raschen Breitbandausbau ein.

Lukin (DIE LINKE) wandte sich in ihren Aussagen gegen eine mögliche Sonderwirtschaftszone, Forderte aber den Zuzug von namhaften Industriebetrieben nach Thüringen zu unterstützen. Auch Forschungsinstitutionen, wie bei der Batterietechnologie sollten nach Thüringen geholt werden. Die Innovationskraft im Lande sei groß.

Mühlbauer (SPD) unterstrich, die SPD stehe an der Seite der „Opelaner“ in Eisenach und werde alles tun, dass der Standort zukunftsfest gemacht wird. Dazu sei Unterstützung bei der Weiterbildung der Beschäftigten notwendig. Man habe zum Sichern des Wissenschaftsstandort Thüringen einen Fünfjahresplan zur Förderung von Forschung und Entwicklung an den Hochschulen Thüringens auf den Weg gebracht. Bei Unternehmensgründern müsse man auch für Unternehmensübergänge Sorge tragen, so ließen sich Pleiten vermeiden.

Adams (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sieht die kleinen und mittleren Unternehmen in Thüringen und deren qualifiziertes Personal als Treiber einer modernen Mobilität. Damit bildeten sie das Rückgrat der Thüringer Wirtschaft. Forschung und Entwicklung im Bereich E-Mobilität „ist Wertschöpfung“, so der Spitzenkandidat der Grünen. Er wies zudem auf die Bedeutung verstärkter Anstrengungen bei Qualifikation und Bildung für die Deckung des künftigen Fachkräftebedarfs in Thüringen hin.

Kontroverse über den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Thüringen

Überaus kontrovers wurde die zukünftige Politik des öffentlichen Verkehrs in Thüringen diskutiert. Das geplante einheitliche ÖPNV-Ticket, das für Gesamt-Thüringen gilt und die Grenzen der bestehenden Verkehrsverbünde überwindet, scheiterte bisher auch an der fehlenden Zustimmung einiger kommunaler Träger. Die Abgeordneten Mühlbauer (SPD), Lukin (DIE LINKE) und Mohring (CDU) nehmen auch Mandate in kommunalen Vertretungen wahr und konnten nachvollziehbar darlegen, warum dieses Durcheinander entstanden ist. Für eine Verbesserung der öffentlichen Verkehre und eine Neuordnung der Anbieterstrukturen traten aber alle ein.

Die Antworten auf die Frage, wann automatisiert real auf die Straße gefahren wird, zeigten sich die Diskutanten skeptisch. Lukin (DIE LINKE) prognostizierte einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren vor einer Umsetzung. Ähnlich äußerte sich Mohring (CDU), der feststellte, dass die Technik noch nicht so weit sei. Kemmerich (FDP) sprach sich dafür aus, in Thüringen eine Modellregion zu etablieren, die im Verbund mit der Wissenschaft für eine Technologieführerschaft sorgt. Mühlbauer (SPD) merkte an, dass die Frage des automatisierten Fahrens „weltweit“ entschieden werde und nicht in Thüringen. Im Übrigen habe die TU Illmenau einen Förderantrag für 2021 für Mobilitätsprojekte bewilligt bekommen. Adams (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) verwies bei der Entwicklung entsprechender Technik zum automatisierten Fahren auf deren hohe Relevanz für die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Daher befürworte er auch die Einrichtung entsprechender Testgelände im Land. Einig waren sich alle Parteivertreter, dass das automatisierte Fahren eine Möglichkeit biete, den Wirtschaftsstandort Thüringen zu sichern.

Selbstverständlich stand es auch dem Publikum frei, sich zu beteiligen und Fragen an das Podium zu richten. Von dieser Möglichkeit macht Stefan Lipowetz, Repräsentant des gastgebenden Autohaus Russ & Janot Gebrauch und wies darauf hin, dass die Automobilindustrie im Land nicht allein durch den Standort Eisenach ausgemacht werde.  Man müsse auch an Kölleda denken, wo ein Tochterunternehmen von Mercedes ein Motorenwerk betreibe, das mit seinen Zulieferern eng verflochten sei und eine starke Einheit bilde.

Die Moderatoren bedankten sich zum Abschluss ausdrücklich bei Andreas Kachel, dem Bereichsleiter Weimar der Russ & Janot GmbH für die Gastfreundschaft und Unterstützung bei der Durchführung der Veranstaltung.

Hier finden Sie die vom AvD gestellten Wahlprüfsteine mit den Stellungnahmen aller angeschriebenen Parteien zum Nachlesen. 

AvD – Die Mobilitätsexperten seit 120 Jahren

Als traditionsreichste automobile Vereinigung in Deutschland bündelt und vertritt der AvD seit 1899 die Interessen der Autofahrer. Mit seiner breiten Palette an Services wie der weltweiten Pannenhilfe, einschließlich einer eigenen Notrufzentrale im Haus, weltweitem Auto- und Reiseschutz, Fahrertrainings und attraktiven Events unterstützt der AvD die Mobilität seiner Mitglieder und fördert die allgemeine Verkehrssicherheit. Das Gründungsmitglied des Automobilweltverbandes FIA betreut seine rund 1,4 Millionen Mitglieder und Kunden ebenso persönlich wie individuell in allen Bereichen der Mobilität und steht für Leidenschaft rund ums Auto.

 

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