Kardiomyopathien sind eine Hauptursache von schwerwiegenden Herzerkrankungen und erhöhen das Risiko für Herzinsuffizienz (Herzschwäche) und bösartige Herzrhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod. Die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) ist die häufigste genetisch bedingte Herzerkrankung mit über 160.000 HCM-Patienten in Deutschland. Bei der HCM verdickt sich der Herzmuskel, was aufgrund von Umbau- und Wachstumsprozessen im Muskelgewebe Herzrhythmusstörungen begünstigt und die Herzfunktion beeinträchtigt. Für die Entwicklung spezifischer Ansätze zur personalisierten Therapie der HCM ist die Aufklärung der molekularen Mechanismen zwischen der genetischen Grundlage und der Ausprägung der Krankheitssymptome der HCM von besonderer Bedeutung. Die Mutation betrifft zumeist Gene des Kontraktionsapparates des Herzens, mit am häufigsten das Myosin-bindende Protein C3 (MYBPC3). Ein Forscherteam um den Kardiologen Dr. med. Timon Seeger von der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg hat bei Untersuchungen von Veränderungen im MYBPC3-Gen nun resultierende Fehlregulationen in Herzmuskelzellen identifiziert, die wiederum mit der Entstehung von HCM in direkter Verbindung stehen. Die Erkenntnisse des Heidelberger Forschers wurden mit dem renommierten Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung (www.herzstiftung.de) ausgezeichnet (Dotation: 5.000 Euro) und 2019 in dem renommierten Fachjournal „Circulation“ der US-amerikanischen Herzgesellschaft (AHA) publiziert (doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.118.034624).*
„Personalisierte patientenspezifische Therapieansätze zur gezielten Bekämpfung der lebensbedrohlichen HCM sind dringend notwendig. Die Erkenntnisse der prämierten Studie sind eine vielversprechende Basis für die Entwicklung von Behandlungsstrategien zur Bekämpfung der HCM“, erklärt der Herzspezialist Prof. Dr. med. Dietrich Andresen, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.
Aus Herzmuskelzellen werden Krankheitsmodelle
Dr. Seeger und Kollegen machen sich bei ihren Untersuchungen ein Verfahren zunutze, das es ermöglicht aus menschlichen Körperzellen, beispielsweise dem Blut oder Hautzellen, so genannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) zu erzeugen, die sich im Labor in der Petrischale („in vitro“) in alle Zellarten differenzieren lassen, also auch in Herzmuskelzellen (iPSC-CM) – somit kann man auf die invasive Entnahme von Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten) aus dem Herzmuskelgewebe eines Patienten verzichten. „Man kann jetzt Stammzellen von Herzpatienten, die eine genetische Mutation haben, welche zur HCM führt, generieren. Hieraus differenzierte Herzmuskelzellen lassen sich dann im Labor mit Herzmuskelzellen aus Stammzellen von gesunden Probanden ohne diese Gen-Mutation vergleichen“, erläutert Dr. Seeger. Man kann die iPSC-CM in der Petrischale und auch in 3D-Konstrukten (als kleine Herzmuskelgewebe) im Labor als Modell für den klinischen Krankheitsverlauf der HCM hinsichtlich Zellgröße und -struktur, Kontraktionsstärke des Herzmuskels, elektrophysiologischer Eigenschaften und ihrer Reaktion auf Stressoren untersuchen.
Was ist das Ziel der Heidelberger Forscher?
Ziel der Forschungsarbeit von Dr. Seeger war es, die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen des Krankheitsverlaufs der HCM, die in Verbindung mit MYBPC3 und einer Mutation mit vorzeitigem Stopp-Codon (PTC) stehen, zu untersuchen. Dazu haben die Forscher mit Hilfe der Technik des Genom-Editierens, auch „Gen-Schere“ genannt (Crispr/Cas9), die Mutation in den iPSC von Patienten gezielt korrigiert und auch diese Zellen nachfolgend in iPSC-CM differenziert. „Wir können in diesen iPSC-CM, die genetisch identisch – im Fachjargon: isogen – sind und sich nur dadurch unterscheiden, dass entweder die Mutation vorliegt oder korrigiert ist, exakt die Auswirkungen der Mutation für die Ausbildung der Herzerkrankung HCM beobachten“, so Dr. Seeger.
In Analogie zu krankhaften Veränderungen im Herzen von HCM-Patienten zeigten sich in diesen HCM iPSC-CM unter anderem Einschränkungen der für die Herzmuskeltätigkeit wichtigen Kalzium-Prozesse im Vergleich zu den isogenen Kontroll-iPSC-Zelllinien. Es zeigte sich, dass die Aktivierung zellulärer Kontrollmechanismen als Reaktion auf die Mutation in MYBPC3 zu einer molekularen Stressantwort führt und maßgeblich an der Ausprägung der krankhaften Veränderungen in den HCM iPSC-CM beteiligt ist. „In diesem personalisierten Ansatz konnten wir eine direkte Verbindung der HCM MYBPC3 PTC-Mutation mit molekularen Fehlregulationen, die an der Krankheitsentstehung der HCM maßgeblich beteiligt sind, herstellen. Das ist die Basis für die Entwicklung spezifischer medikamentöser Behandlungsstrategien bei HCM.“
Der Wilhelm P. Winterstein-Preis wird alljährlich für eine wissenschaftlich herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bevorzugt aus einem patientennahen Forschungsbereich, vergeben. 2019 hat die Stifterin Ursula Winterstein den Preis ihres 2018 verstorbenen Ehemannes für zwei ausgezeichnete Forschungsprojekte vergeben. Neben Dr. med. Seeger wurden Dr. med. Marc D. Lemoine und Dr. Maksymilian Prondzynski vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit diesem Wissenschaftspreis ausgezeichnet (Presse-Info zu Dr. Lemoine/Dr. Prondzynski unter www.herzstiftung.de/…).
*Seeger T. et al., Circulation. 2019; 139: 799-811. A Premature Termination Codon Mutation in MYBPC3 Causes Hypertrophic Cardiomyopathy via Chronic Activation of Nonsense-Mediated Decay. (doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.118.034624)
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