Programmierung im Mutterleib mit lebenslangen Folgen
Mikrogliazellen bevölkern sehr früh das sich entwickelnde Gehirn im Mutterleib. Sie nehmen aktiv an der Einwanderung, Selektion und Ausdifferenzierung von Nervenzellen und anderen Zellen des Gehirns teil. Doch damit sind ihre Aufgaben nicht abgeschlossen. „Mikrogliazellen lernen während der Gehirnentwicklung körperfremde Produkte aus dem mütterlichen Blutkreislauf kennen, etwa Virusbestandteile oder Bestandteile von Bakterien aus dem mütterlichen Darm. Diese Programmierung, man spricht auch von einer epigenetischen Prägung, kann fehlerhaft ablaufen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft zum Beispiel an einer Infektionserkrankung leidet“, sagt Jochen Herms, Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN).
Diese fehlerhafte Prägung kann möglicherweise lebenslange Konsequenzen haben, denn Mikrogliazellen, das zeigen neueste Untersuchungen im Tiermodell, leben sehr lange. „Neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung legen nahe, dass bei einigen Erkrankungen des Gehirns die normalen Funktionen der Mikroglia fehl- bzw. überaktiviert sind“, sagt Herms. „Am konkretesten sind die Hinweise, dass falsch geprägte Mikrogliazellen eine Ursache für die Entwicklung der Schizophrenie sind.“ Diese Erkrankung manifestiert sich typischerweise bei jungen Erwachsenen zu einem Zeitpunkt, an dem die Mikroglia sehr aktiv ist und überschüssige synaptische Verbindungen zwischen Nervenzellen abbaut.
Risiko für Demenz und neurologische Erkrankungen
Aktuelle neuropathologische Studien deuten darauf hin, dass die Funktion der Mikroglia bei zahlreichen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielt, darunter Multiple Sklerose, Amyotrophe Lateralsklerose sowie die Parkinsonerkrankung. Besonders gut untersucht ist der Zusammenhang bei Erkrankungen des alternden Gehirns, insbesondere bei der Demenz vom Alzheimer-Typ. „Fehlfunktionen der Mikroglia erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln“, sagt Herms. Abbauprodukte des Stoffwechsels werden schlechter abgeräumt, was zu Ablagerungen von körpereigenen Eiweißen im Gehirn führt, zum Beispiel in Form von Amyloidplaques, und damit die Entwicklung und den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen vorantreibt. „Die Mikrogliaaktivität kann entweder durch genetische Faktoren, aber wahrscheinlich auch durch chronisch entzündliche Prozesse gestört werden“, berichtet Herms. „Ein Drittel der Genveränderungen, die das Risiko für neuropsychiatrische Erkrankungen erhöhen, beeinflusst auch die Funktion von Mikrogliazellen.“
Neuropathologie: Diagnose und Erforschung neurologischer Erkrankungen
Die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) tagt derzeit gemeinsam mit der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) unter Gesamtkoordination der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in der Messe Berlin. Eine wichtige Aufgabe der Neuropathologie ist die histologische und molekulare Diagnostik anhand von Gewebeproben, insbesondere aus Gehirntumoren. Neuropathologinnen und Neuropathologen entschlüsseln des Weiteren Mechanismen der Entstehung neurologischer Erkrankungen, vor allem auf Basis der Untersuchung des menschlichen Gehirns, aber auch in Tiermodellen, und ebnen so den Weg zu besseren Therapien. Die deutschsprachige Neuropathologie erbringt Spitzenforschung im internationalen Maßstab, insbesondere auf dem Gebiet der Hirntumoren, der neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit und anderer Demenzen, der Multiplen Sklerose, der Epilepsie, der Hirngefäßkrankheiten wie Schlaganfall oder der Muskelkrankheiten.
Literatur
- Thion et al. Microglia and early brain development: An intimate journey. Science 2018; 362: 185–189
- Wendeln et al. Innate immune memory in the brain shapes neurological disease hallmarks. Nature 2018; 556: 332-338
- Datta et al. Histone deacetylases 1 and 2 regulate microglia function during development, homeostasis, and neurodegeneration in a context-dependent manner. Immunity 2018; 48: 514–529
- Füger et al. Microglia turnover with aging and in an Alzheimer’s model via long-term in vivo single-cell imaging. Nature Neuroscience 2017; 20: 1371–1376
- Butovsky O, Weiner HL. Microglial signatures and their role in health and disease. Nature Reviews Neuroscience 2018; 19: 622–635
Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Jochen Herms
Leiter des Zentrums für Neuropathologie und Prionforschung
Ludwig-Maximilians-Universität München
Feodor-Lynen-Str. 23, 81377 München, Tel.: +49 (0)89 218078000
E-Mail: jochen.herms@med.uni-muenchen.de
Kongress-Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o albertZWEI media GmbH, Oettingenstraße 25, 80538 München
Tel.: +49 (0)89 46148622, Fax: +49 (0)89 46148625
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
E-Mail: dgn@albert-zwei.de
Die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN)
vertritt die in der gewebebasierten Diagnostik neurologischer Erkrankungen tätigen Ärztinnen und Ärzte und nimmt in den Neurowissenschaften eine zentrale Funktion als Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und angewandter klinischer Forschung wahr. www.dgnn.de
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren rund 9000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsident: Prof. Dr. med. Gereon R. Fink
Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
Past-Präsident: Prof. Dr. med. Ralf Gold
Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V.
Reinhardtstr. 27 C
10117 Berlin
Telefon: +49 (30) 531437930
Telefax: +49 (30) 531437939
http://www.dgn.org
Telefon: +49 (89) 461486-22
E-Mail: dgn@albert-zwei.de