31 Studierende der Hochschule Osnabrück haben seit Anfang März sechs praxisnahe Projekte im Bereich Softwaretechnik bearbeitet. Im 5. Semester, also kurz vor Ende ihres Studiums, setzten sie dabei theoretische Kenntnisse aus der Vorlesung von Prof. Dr. Rainer Roosmann in die Praxis um. Die Teams entwickelten – teils in Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen oder Forschungsteams der Hochschule – neuartige technische Lösungen für unterschiedliche Lebensbereiche. Ihre Ideen stellten die Studierenden der Medieninformatik, Technischen Informatik und Elektrotechnik jetzt auf der traditionellen Projektmesse „Lösungen für die Welt von morgen“ vor. „Jedes Teammitglied hat rund 200 Arbeitsstunden in sein Projekt investiert, und die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen“, so das Fazit von Prof. Roosmann, der die Projektmesse organisiert hat.
VetApp – Applikation für Veterinärmediziner
Ein aktuelles Forschungsprojekt der Hochschule Osnabrück zielt darauf ab, Antibiotika in der Nutztierhaltung zu reduzieren. Gleich zu Beginn des Projekts haben die Kooperationspartner auch Studierende in ihre Arbeit einbezogen. Der Informatikprofessor Rainer Roosmann, der Technische Direktor der Münch Gesellschaft für IT-Solutions Tobias Münch und der Tierarzt Stephan Göken beauftragten angehende Medieninformatiker mit der Entwicklung einer App. Diese mobile Anwendung soll Tierärzte bei ihrer gesetzlich vorgeschriebenen und recht zeitaufwendigen Dokumentation unterstützen. „Mit unserer App können Tierärzte über ihr Smartphone Befunde und Diagnosen diktieren, und dann wird dank Spracherkennung und der von uns entwickelten Software automatisch die Dokumentation generiert“, erklärt der studentische Projektleiter Markus Schwengler. „Das spart viel Zeit, die die Veterinärmediziner anstatt für bürokratische Aufgaben dann dem Tierwohl widmen können“, so der Student der Medieninformatik. Grundlegende Informationen zum Tierarzt, Tierhalter und den Tieren liegen bei der Firma Münch und können mit der entwickelten App genutzt werden. Bei der Funktionalität wurde großer Wert auf eine einfache Bedienbarkeit und die Sicherheit der Anwendung gelegt. „Die sprachgesteuerte Dokumentation der Diagnose ist ein wichtiger Baustein der so genannten Microservice-Architektur, die wir im Forschungsprojekt nutzen wollen“, ergänzt der Betreuer Prof. Roosmann. Der große Vorteil dieser Technologie sei, dass viele Personen gleichzeitig auf die App zugreifen können – weshalb sie auch von den größten Online-Verkäufern genutzt werde, so Roosmann weiter. Wie er, ist auch der andere Projektbetreuer, Tobias Münch, mit den Ergebnissen der Gruppe sehr zufrieden. „Die Digitalisierung im Bereich der Tiermedizin ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, daher erarbeiten wir mit unserem Forschungsprojekt eine pragmatische, innovative Lösung; die App ist ein erster Schritt in diese Richtung.“ Der Hochschulabsolvent kennt die Projektmesse bereits aus studentischer Sicht; den Perspektivwechsel als Betreuer fand er „spannend und entspannt zugleich“. Was indes unverändert geblieben ist, sei „die Überzeugung, dass Projektarbeit im technischen Studium immens wichtig ist“, betont Münch.
„DokuStress“-App
Ebenfalls Bürokratieabbau, diesmal im Bereich Physiotherapie, war Ziel eines weiteren Teams. Der Projektbetreuer Prof. Dr. Karsten Morisse arbeitet seit Jahren eng mit seinen Hochschulkollegen aus dem Bereich Physiotherapie zusammen. Im interdisziplinären Forschungsschwerpunkt „MusikPhysioAnalysis“ entwickeln sie – gemeinsam mit Teammitgliedern aus den Musik- und Wirtschaftswissenschaften – physiotherapeutische Strategien zur Behandlung von musikerassoziierten Erkrankungen. „Wir wollten den Studierenden keine genauen Vorgaben machen und sie eine eigenständige Lösung für Therapeutinnen und Therapeuten entwickeln lassen“, sagt der Professor für Medieninformatik. „Als Patienten bekommen wir kaum mit, wie wenig Zeit der Therapeut für die Dokumentation der jeweiligen Behandlung hat“, stellt der studentische Projektleiter Marc Meckfessel fest. „Da ist es keine Seltenheit, die Untersuchung erst einmal mit Stift und Papier zu dokumentieren, um das Aufgeschriebene später in eine Datenbank einzupflegen.“ Diesen Umweg wollten zwei Studentinnen und drei Studenten der Medieninformatik sparen. Sie entwickelten eine Applikation, die es den Therapeuten erleichtert, Patientendaten direkt und unter Berücksichtigung der Gesetzeslage abzuspeichern. Über die „DokuStress“-App wird der gesamte Ablauf einer Behandlung dargestellt: So werden Patientenaufnahme, Anamnese, Erst‐ und Folgebefunde sowie Arztberichte und weitere Dokumente mit der App erfasst. Eine besondere Entlastung der Therapeuten wird allerdings durch die Sprachassistenz während einer Behandlung erzielt. „So hat der Therapeut bei der Behandlung die Hände frei und kann sich voll und ganz auf den Patienten konzentrieren“, erklärt Meckfessel.
„ThermoScan“
Auch ein weiteres Projekt des Sommersemesters befasste sich mit dem Thema „Physiotherapie“. Im Fokus stand diesmal eine der häufigsten Beschwerden hierzulande: Rückenschmerzen. „Die Zahl der Menschen mit Rückenproblemen steigt in Deutschland seit Jahren an. In unserem Projekt versuchen wir, hier eine Hilfestellung zu geben“, berichtet der angehende Medieninformatiker Steffen Andreeßen, der das Projekt geleitet hat. „Mit einem Scan des Patientenrückens ermöglichen wir Physiotherapeuten, anhand eines Wärmebildes schnell und genau Verspannungen zu lokalisieren und so Behandlungen zu verbessern.“ Vier Studenten der Medieninformatik und Technischen Informatik arbeiteten im Projekt mit der LandPlan OS GmbH zusammen, das Unternehmen hat dem Team zwei Sensorpaare bereitgestellt. Der eine Sensor ermöglicht es, ein Modell des Rückens anhand eines Tiefenbildes zu erstellen, während der andere die Temperaturen auf der Oberfläche des Rückens misst: Denn bei Durchblutungsstörungen, Verspannungen oder Entzündungen verändert sich auch die Temperatur des entsprechenden Bereichs. „Wir fügen diese Daten zusammen und erschaffen so ein Modell, das Aufschluss über mögliche Verspannungen an jeder Position gibt“, erklärt der Projektleiter Andreeßen. Die studentische Lösung habe zwei weitere Vorteile, ergänzt der Betreuer Prof. Dr. Philipp Lensing: „Die von den Studierenden eingesetzten Sensoren kosten nur rund ein Zehntel im Vergleich zu den Scannern, die üblicherweise von Ärzten genutzt werden.“ Somit ist der „ThermoScan“ auch für therapeutische Praxen durchaus erschwinglich. Das zweite Plus: „Der Therapieerfolg wird so auch messbar und geometrisch darstellbar, wenn die Daten über einen gewissen Zeitraum miteinander verglichen werden.“
Indoor-Lokalisierung – Sich im Gebäude zurechtfinden
Um Lokalisierung von Objekten in Gebäuden ging es in einem weiteren Projekt. „Die genaue Erkennung von Positionen innerhalb von Gebäuden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Anwendungen hierfür sind beispielsweise Wegweiser auf Flughäfen und Museen oder Erkennung von Schutzbereichen in Werkshallen“, erklärt der Projektleiter Johannes Odersky. Allerdings könne das bekannte GPS-Verfahren innerhalb von Gebäuden nicht verwendet werden und die Auswertung von Funksignalen von Bluetooth- oder WLAN-Netzen sei hierfür zu ungenau. Mit einem Ultra-Breitband-Funksystem bestehe jedoch die Möglichkeit, eine Position im dreidimensionalen Raum bis zu 10 cm genau zu bestimmen. Diese Technologie setzte das vierköpfige Team mit Studierenden der Mechatronik, der Medien- und der Technischen Informatik im Projekt „Indoor-Lokalisierung“ ein. Die Studierenden haben zur Bestimmung der Position eine Infrastruktur aufgebaut, die aus mehreren miteinander kommunizierenden Ankerpunkten besteht und rund 60 Meter Reichweite hat. „Durch die Breitband-Technologie ist unser System sehr robust gegenüber Störungen und daher für industrielle Umgebungen geeignet“, so Johannes Odersky. Neben der Realisierung der Positionsbestimmung hat sein Team auch eine Bewertung der Genauigkeit und eine Visualisierung der räumlichen Position umgesetzt. Betreut wurde das Projekt von Prof. Dr. Ralf Tönjes. Durch eine Kooperation mit der iotec GmbH aus dem InnovationsCentrum Osnabrück konnte das System praxisnah entwickelt und bewertet werden.
„Erweiterte Realität“ im Robotiklabor
Eine weitere „Lösung von morgen“ verbindet die Robotik mit sogenannter „erweiterter Realität“, kurz AR (vom englischen Fachbegriff „Augmented Reality“). Durch diese Technologie werden computergenerierte virtuelle Objekte in die reale Umgebung „eingeblendet“. So werden Daten, die in modernen Industrieanlagen durch Sensoren erfasst werden, visualisiert, um das Personal bei der täglichen Arbeit zu unterstützen. Fünf Studenten und eine Studentin der Medieninformatik haben sich zum Ziel gesetzt, mit der AR-Technologie die Daten einer robotergestützten Montageanlage der Hochschule Osnabrück zu erfassen und zu visualisieren. Patrick Neumüller, studentischer Projektleiter: „Zur gewöhnlichen Visualisierung von Daten können bereits handelsübliche mobile Endgeräte dienen, wie Smartphones oder Tablets. In unserem Projekt geht es jedoch um eine zukunftsorientierte Arbeitsumgebung – dabei kommt eine spezielle AR-Brille zum Einsatz. Dafür haben wir ein eigenes Anwendungsprogramm entwickelt.“ Ein besonderes Augenmerk haben die Studierenden auf die Unterstützung der Nutzer bei unbekannten Arbeitsprozessen gelegt: „Hier können die eingespielten virtuellen Elemente wertvolle Hinweise bei der Bedienung der Anlage geben“, so Neumüller. Deshalb könne die Lösung seines Teams auch für Unternehmen interessant sein, die zunehmend auf die Digitalisierung aller Arbeitsabläufe setzen – bekannt unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“. Betreut wurde das Projektteam im Kompetenzzentrum Industrie 4.0 (I4os, www.i4os.de) der Hochschule Osnabrück. „Wir haben festgestellt, dass viele Betriebe speziell im Bereich der Programmierung von Robotern Unterstützung benötigen“, so Prof. Dr. Dirk Rokossa, Leiter des Labors für Handhabungstechnik und Robotik. Sein Kollege und Sprecher des Kompetenzzentrums, Prof. Dr. Clemens Westerkamp, ergänzt: „Wir bekommen häufig Anfragen zu Themen der Robotik, Automatisierung und Informatik und unterstützen Unternehmen gern bei der Einführung und Umsetzung innovativer Technologien“. Die studentische Entwicklung wird künftig als Anschauungsobjekt einen Platz im Kompetenzzentrum bekommen.
Modellauto OSCAR wird intelligent
Seit Jahren arbeiten Studierende der Hochschule Osnabrück an einem autonom fahrenden Modellauto und treten damit beim Wettbewerb der TU Braunschweig „Carolo Cup“ an. Dafür entwickeln studentische Gruppen Modellautos, die eigenständig einen Parcours abfahren sollen. Der Projektleiter dieses Semesters, Christian Thünemann, erklärt die Technologie im Hintergrund: „Mit Hilfe einer Kamera werden Markierungen, Objekte und Hindernisse mit rund 120 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet. Diese Bilder werden dann weiterverarbeitet, und das Auto hält dann beispielsweise vor einem Hindernis an. Dieser Ablauf findet innerhalb von Millisekunden statt; das Auto mit den wenigsten Fehlern auf der Fahrt gewinnt.“ In diesem Semester hat Thünemanns Gruppe das OSCAR-Projekt weiter vorangetrieben: Zu sechst haben die Informatik-Studierenden eine automatische Erkennung von drei Geschwindigkeitsmarkierungen und drei Symbolen (Pfeil nach links, Pfeil nach rechts und Zebrastreifen) entwickelt. Diese Symbole treten im Parcours des Wettbewerbs auf und bilden einen höheren Schwierigkeitsgrad. „Unser Projekt basiert auf der Forschung an einem Neuronalen Netz, welches die Geschwindigkeitsmarkierungen und Symbole während der Fahrt voneinander unterscheiden kann“, so der Teamsprecher. „Daraufhin soll das Auto die Geschwindigkeit entsprechend anpassen.“ Die Studenten haben verschiedene Architekturen und Technologien getestet. Damit das Neuronale Netz arbeiten kann und beispielsweise eine „20“ auf dem Parcours erkennt, muss es trainiert werden. Dieses Training besteht aus mehreren Tausend Bildern. Darüber hinaus sind die Bilder gedreht und verzerrt, um eine Markierung auch dann zu erkennen, wenn das Auto nicht genau mittig auf der Straße fährt. Ist das Training absolviert, kann das Neuronale Netz beim Auto angewendet werden und sollte die Bilder der Kamera verarbeiten und vorhandene Markierungen erkennen können. Der Projektbetreuer Prof. Dr. Winfried Gehrke findet, das Projekt sei „gut gelungen“. Im nächsten Schritt solle das System am Modellauto implementiert werden. „Ein großer Vorteil ist nun, dass wir keinen ‚Rechenzentrum‘, sondern einen ‚schwachrüstigen‘ Rechner am Auto fahren lassen und so stark an Gewicht sparen können. Das lässt für die künftigen Wettbewerbe auf weitere Erfolge hoffen“, sagt der Professor für Mikrorechnertechnik und Digitale Systeme.
Teamarbeit, Interdisziplinarität, Einblick in neue Technologien
Bei der Frage danach, was sie in ihrem Projekt gelernt haben, kommt bei allen Projektleitern dieselbe Antwort an erster Stelle: „Teamarbeit“. Ein Projekt von der ersten Idee bis zur Lösung und deren Präsentation erfolgreich zu bearbeiten, und das über fünf Monate hinweg, mit Menschen, die man vorher nicht kannte und die oft etwas anderes studieren: Diese Herausforderung habe einen großen Lerneffekt gebracht, betonen die Projektsprecher unisono. „Dasselbe Problem aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und fachübergreifend an Lösungen zu arbeiten, war für uns oft von Vorteil: Es war Problembewältigung durch Interdisziplinarität“, so Patrick Neumüller. Auch lernten die Teams im Projekt Technologien genauer kennen, für die sie sich teils seit der Kindheit begeistern: Ob künstliche Intelligenz oder Augmented Reality, autonome Fahrzeuge oder Indoor-Lokalisierung.
„All diese Vorteile der Projektarbeit nutzen wir im Bereich Software Engineering seit über zehn Jahren“, berichtet der Studiendekan für Elektrotechnik und Informatik Prof. Dr. Frank Thiesing. Nun haben alle Studiengänge der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik dieses Konzept übernommen, somit sollen Projekte in Zukunft noch vielfältiger und realitätsnäher werden. „Besonders innovative Themen, wie die Digitalisierung aller Entwicklungs- und Produktionsprozesse, können dabei eine Klammer bilden“, so Prof. Thiesing weiter.
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