Leseprobe:
Warum sieht er mich so merkwürdig mit starrem, leeren Blick an? Hat er vielleicht was gemerkt? Hat sich Kate ihm gegenüber anders verhalten als sonst? Hat sie was gesagt oder sich oder mich verraten?
Nein, bestimmt nicht.
Er hatte ja von Kate überhaupt keine Ahnung.
Hoffe ich. Obwohl – sie ist etwas anders als ich. Nicht so sanft und mütterlich. Das liegt sicher auch an meinen Neigungen hin zum weiblichen Geschlecht. Aber nein, er hat nichts gemerkt.
„Was ist los? Gab es Ärger im Verlag?”, versuche ich mit ihm irgendein Gespräch anzufangen.
Aber Jon reagiert nicht. Er verhält sich immer so, wenn er schlechte Laune hat. Er sitzt einfach wie ein Muffel da und ich kann machen was ich will, es interessiert ihn nicht. Oh je, wie ich das hasse.
Meistens sagt man dann, am Anfang war er nicht so. Aber bei ihm ist es anders, er war schon immer so.
Ich wage nochmal einen zarten Versuch, strecke meine Hand zu ihm hin und gebe ihm einen zärtlichen Kuss. „Marie entschuldige, ich bin mit meinen Gedanken so weit weg. Es war ein harter Tag”, seufzt er abwesend. Wie er so dasitzt, geht er mir manchmal ganz schön auf den Nerv. Das hat schon ziemlich viele Züge von Egoismus.
Jon ist ein angesehener Journalist eines großen Verlagshauses. Er hat einen guten Ruf und wird überall als fairer Partner akzeptiert. Man schätzt auch seine solide Führung der Firma und den Umgang mit den Mitarbeitern. Meine damalige Geliebte machte mich bei einem abendlichen Verlagsempfang mit ihm bekannt. Er gefiel mir irgendwie sehr. Er hatte so was Anziehendes und schlaue wache Augen. Seine Haare kann man nicht als Frisur bezeichnen. Einfach wild, aber gepflegt. Ich fand ihn sofort sympathisch. Er war et-was verrückt und immer mit seinem schönen, großen, rotbraunen Hund unterwegs. Der Hund hieß Jenny und war ein Irish Setter. Wirklich ein schönes Tier und vor allem schlau. Diese Rasse ist ja für ihren besonders guten Spürsinn bekannt. Also war der Hund wie sein Herrchen. Der hat auch einen wirklich guten Spürsinn für gute Storys. Da muss man sagen, dass das Sprichwort „Wie das Herrchen, so der Hund” hier wieder mal zutrifft. Gut, dass er keinen Mops hat, denke ich mir so.
Jedenfalls gab es diesen wirklich schönen Empfang mit kaltem Büffet und Getränken aller Art. Ich entschied mich für einen oder besser gesagt mehrere Gläser Sekt mit Aperol. Das habe ich vorher noch nie getrunken, aber es war himmlisch und löste meine Anspannung ziemlich schnell. Es kamen bekannte Journalisten, aber auch Leute aus der Politik. Naja, irgendwie gehören die ja zum Mediengeschäft immer mit dazu. Wird ja im Endeffekt jeder von jedem finanziert. Im Laufe des Abends kam ich mit Jon immer wieder ins Gespräch. Ich erzählte ihm von meiner bisherigen künstlerischen Tätigkeit.
Ich male meist große Bilder mit grellen Farben. Es entstehen viele interessante Motive. Ich verwende nicht nur einen Pinsel, sondern benutze verschiedene Materialien. Das kann eine Feder sein oder ein Grasbüschel oder auch eine Rispe Johannisbeeren. Diese tauche ich dann in Farbe ein und zeichne damit verschiedene Figuren und Elemente. Da jedes der Malwerkzeuge eine unterschiedliche Oberfläche und verschiedene Strukturen hat, wirken die Bilder sehr bizarr.
Ich hatte mit kleineren Ausstellungen schon ganz gute Erfolge. Aber oft war es auch mühselig wegen einer kleinen Ausstellung durch halb Deutschland zu reisen.
An diesem Abend unterhielt ich mich noch lange mit Jon und es war, als ob wir schon ewig Freunde wären. Am Ende des wirklich schönen Festes schlug er mir vor, einige Artikel zu Kunst und Kultur in seinem Verlag zu veröffentlichen. Warum eigentlich nicht.
Das ist nun schon einige Zeit her und wir leben und arbeiten mittlerweile zusammen…
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