Ganz Ähnliches könnte man auch über das Buch von Günter Saalmann sagen, in dem er seinen „Umberto“ einen ganz ungewöhnlichen Traum träumen lässt, einen Traum von Afrika – auch wenn sein Afrika dann zunächst in Sachsen liegt. Mit einem ganz anderen Landstrich, mit dem heimatlichen Mecklenburg, genauer gesagt mit Pinnow und Umgebung, und seiner sagenhaften Vergangenheit befasst sich Herbert Remmel, der in „Als ein Schinken vom Himmel fiel. Sagen aus Pinnow und aus der Nachbarschaft. Nacherzählt und neu gefasst – mit Deutungen und mit Hintergründen“ eben diese Sagen nicht nur nacherzählt, sondern auch das Wie und Warum erklärt.
Und wenn wir es in Remmels Pinnower Sagenbuch auch mit Unterirdischen zu tun haben, dann lädt uns Carlos Rasch in seiner wissenschaftlich-fantastischen Erzählung „Vikonda“ zu spannenden außerirdischen Abenteuern ein. Seit Jahren werden fünf Erkundungsgruppen vermisst …
Gesucht wird auch in „Die Hexylschmuggler“ von Heiner Rank. Gesucht wird Westgeld. Um aber an dieses zu kommen, wird zunächst einmal Hexyl gesucht. Das aber ist nicht ganz legal.
Bleibt schließlich noch das sechste und damit letzte Angebot des heutigen Newsletters. Schon der Titel des Kinderbuches „Der Kuckuck im Auto“ von Brigitte Birnbaum und Tina Halm macht doch neugierig, oder? Aber zurück zum ersten der sechs Deals, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 23.03.18 – Freitag, 30.03.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind.
Erstmals 1954 erschien im Verlag Das Neue Berlin die Druckausgabe des Romans „Unternehmen Thunderstorm“ von Wolfgang Schreyer, für den der junge Autor zwei Jahre später mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR ausgezeichnet worden war: Dies ist ein Tatsachenbuch über den Warschauer Aufstand. Geschildert werden die Dinge, wie sie waren; verschwiegen wird nichts. Wolfgang Schreyer schrieb nach gründlichem Materialstudium diesen packenden Bericht eines von den Engländern geplanten militärischen Großunternehmens, über das jahrelang fast nichts bekannt geworden ist. Wir erleben das Schicksal einer deutschen Flakbatterie, verfolgen den Weg einer kleinen Gruppe britisch-amerikanischer Fallschirmspringer und das Ringen polnischer Untergrundkämpfer. Der Autor enthüllt die Methoden internationaler Spionagedienste, zeigt Generale, Konzerndirektoren und Diplomaten bei der Arbeit, schildert Verhandlungen in Moskau ebenso wie Operationen der Roten Armee. Durch das ganze Buch weht der heiße Atem einer pausenlosen dramatischen Handlung. In der prallen Fülle ihrer Gestalten und Schicksale ersteht noch einmal eine Welt des Aufstiegs und des Untergangs. Der 2. Teil schildert den Aufstand und seine blutige Niederschlagung. Im folgenden Ausschnitt aus dem zweiten Teil von „Unternehmen Thunderstorm“ sind wir nicht am Anfang des Buches, auch nicht am Ende des Buches, sondern gewissermaßen mittendrin von Buch und Aufstand und begleiten einen Stoßtrupp:
„In der Nacht vom fünften zum sechsten August drangen Stoßtrupps der Aufständischen bis zur Rennbahn Neu-Immelin im äußersten Süden Warschaus vor. Der Rennplatz, Endstation der Straßenbahnlinie 19, diente mit seinen Stallungen der 9. deutschen Armee als Lager für Winterausrüstung und Proviant. Zusammen mit den Häuserblocks ringsum und einer benachbarten alten Zarenfestung, die als Pferdelazarett benutzt wurde, galt er als sicherer Stützpunkt; die Woge des Aufstands brach sich an vorgeschobenen Posten und zerrann, bevor sie ihn erreichte. Er lag an der großen Straße nach Warka; die dort kämpfenden deutschen Verbände wurden von hier aus versorgt.
Achthundert Meter westlich davon, zwischen dem Flughafen Okecie und dem Arbeiterviertel Sluzewiez waren Eisenbahngeschütze (Es waren die gleichen 65-cm-Eisenbahngeschütze, mit denen die Faschisten im Frühjahr 1942 die Festung Sewastopol zertrommelt hatten.) auf einem Nebengleis der Radomer Strecke in Stellung gegangen. Schwarz starrten die Schlünde der Kanonenrohre, die ein Mann bequem zu durchkriechen vermochte, hinauf zum sternenübersäten Himmel. Sie hatten noch keine der mehr als dreißig Zentner schweren Granaten in die unglückliche Stadt geschleudert.
Unheil verkündend gähnten ihre Mäuler. Zu dieser Zeit fielen im Stadtgebiet nur vereinzelt dünne Schüsse. Die Untergrundarmeen hatten große Teile Warschaus erobert und alle Straßen, die sie beherrschten, durch starke Barrikaden (Die Barrikaden sperrten die ganze Breite der Straße und erreichten mindestens die Höhe des ersten Stocks; an der Seite wurde meist ein kleiner, notfalls schnell verschließbarer Durchgang gelassen.) gesichert. Die Faschisten begriffen, dass ihnen eine militärische Macht gegenüberstand, und schickten sich an, einen regelrechten Feldzug zu führen. In ihrer Hand waren die Weichselbrücken, der Danziger Bahnhof (auf dem ein Panzerzug unter Dampf stand), das Justizministerium, die Direktion der Wasserwerke, die Haberbusch-Brauerei, der Sächsische Garten mit den Regierungspalästen, das Hotel Bristol, das Post-Hochhaus, die Universität, der Dreikreuzplatz, das SD-Hauptquartier in der Schuch-Allee (Die Schuch-Allee, polnisch „Aleja Szucha“, trägt den Namen des königlichen Baumeisters und Gartenarchitekten Johann Christian Schuch, der 1773 aus Dresden nach Warschau kam. Er legte Warschaus schönsten Garten an, den Lazienki-Park, und schuf für den Fürsten Lubomirski den Landschaftsgarten ‚Mon Coteau‘ (heute Mokotów). 1939 wurde die Schuch-Allee für die Warschauer Bevölkerung Inbegriff des Naziterrors und der Gestapo, die dort ihr Hauptquartier bezog. Gouverneur Dr. Fischer nannte sie um in „Straße der Polizei“.) und einige Polizeikommissariate und Magazine. Sie versuchten, die Stützpunkte aus der Luft zu versorgen. Auch sie hatten Barrikaden errichtet und zogen allmählich rings um die Stadt Verstärkungen zusammen.
Ganz Warschau war ein einziger Kessel, in dem mehrere deutsche Igel saßen. Es hätte schwerer Waffen bedurft, um sie rasch zu zerschlagen. Jedes Haus, in dem sich die Deutschen verschanzten, wurde zur Festung, weil die Aufständischen keine Geschütze besaßen; mit Handgranaten und Kugeln ist es schwierig, Mauern zu zerschmettern. Die Munition ging zur Neige, es galt, Bestände des Feindes zu erbeuten. So gewöhnten sich die polnischen Kämpfer daran, die fehlende Artillerie durch Heldenmut zu ersetzen: unter schrecklichen Verlusten stürmten sie einen Stützpunkt nach dem anderen…
Den vordersten, fünf Mann starken Stoßtrupp führte Hauptmann Henryk (Henryk: Die Offiziere der Volksarmee trugen Decknamen, ebenso wie die Funktionäre der Arbeiterpartei (PPR), die im Widerstandskampf oft zugleich militärische Führer waren. So wurde Bierut „Genosse Tomasz“ genannt.). Er starrte auf die grasbewachsene, von Stacheldraht übersponnene Böschung, hinter der ein Posten seine Runde machte, und dachte flüchtig an die letzte Meldung des Londoner Rundfunks. Er hatte sie nicht selbst gehört, aber die A. K. ließ Tausende von Flugblättern damit bedrucken, und eins davon war auch in seine Hand geraten. ‚Der russische Gürtel um Warschau verengt sich‘, hieß es darin, ‚Rokossowski trägt seinen Angriff von drei Seiten vor. Nach Ansicht Londoner Kreise wird Warschau langsam umzingelt…‘
Worte, nichts als Worte! Kein einziger Sowjetsoldat, kein Kämpfer der 1. Polnischen Armee (Warschau wurde von der I. Polnischen Armee unter Führung von General Poplawski befreit. Diese Armee war fünf Divisionen stark und operierte im Verband der 1. Belorussischen Front, welche zu diesem Zeitpunkt Marschall Shukow befehligte.) stand auf dem linken Weichselufer, außer bei Warka und bei Pulawy – fünfzig und hundert Kilometer von hier! Man log in London, um den A. K.-Leuten Mut zu machen oder um des eigenen schlechten Gewissens willen. In Praga brach der Aufstand schon zusammen. Dieses größte Arbeiterviertel Warschaus hatte Bor von vornherein den Faschisten in die Hände gespielt, als er keinen Versuch unternahm, die Brücken im Handstreich zu erobern. Am 1. August wäre das gelungen, nun war es zu spät. Von allen Verbindungen mit dem linken Ufer abgeschnitten, wurden die proletarischen Widerstandsgruppen in Praga überwältigt. Ja, die Herren der A. K. wollten das Heft in der Hand behalten… Und dennoch: Aktionseinheit!…
Die Schritte des Postens verklangen. „Hinlegen!“, befahl Henryk flüsternd. Sie krochen geräuschlos vorwärts. Im blassen Mondlicht funkelte matt der Stacheldraht auf der Böschung. Seitab peitschte ein Schuss. Sie verharrten regungslos. Das galt nicht ihnen! Der Hauptmann beschloss zu warten. Sie kauerten jetzt in einem flachen Graben unterhalb der Böschung. Die Deutschen hatten etwas gehört, sollten sie sich erst beruhigen. Er konnte warten – das war eine wichtige Kunst im Kriege. Die Armija Krajowa konnte es nicht. Vier Jahre lang, dachte er bitter, hatte sie mit ihrer Losung ‚Gewehr bei Fuß‘ Verwirrung gestiftet und jede große Kampfaktion verhindert. Als es aber darauf ankam, zu warten, bis die Rote Armee die Zange gegen Warschau ansetzte, da schlug sie plötzlich los, unvermittelt, ohne Absprache… Und trotzdem: Aktionseinheit!
Henryk wusste, das Übergewicht lag bei der A. K.; in jeder Hinsicht: zahlenmäßig, ausrüstungsmäßig und organisatorisch; in ihren Reihen kämpften fast alle Offiziere der Vorkriegsarmee, soweit sie der Gefangennahme entgangen waren. Nein, nicht in jeder Hinsicht; die A. K.-Leute setzten sich genauso tapfer ein, doch ohne echtes Ziel. Eines Tages würden sie begreifen, dass sie jetzt dabei waren, sich das Ausbeuterpack selbst wieder in den Nacken zu setzen. Nur, wann würden sie das einsehen, wann? Er konnte und durfte es ihnen nicht erklären, heute nicht und morgen nicht, denn nun galt nur eine Losung: Tod den Faschisten.
Langsam, Zoll um Zoll, schob sich Henryk die Böschung hinauf. Während er scharf auf jedes leise Geräusch, auf jeden huschenden Schatten achtete, kreiste ein Teil seiner Gedanken noch immer um den Verrat der A. K. Es war ihm klar, weshalb in der Untergrundbewegung reaktionäre Generale den Ton angaben. Die polnische Bourgeoisie hatte in den zwanzig Jahren zwischen den Weltkriegen alle proletarischen Organisationen erbarmungslos vernichtet. Und als sie selbst von den deutschen Imperialisten vertrieben wurde, stützte sie sich auf ihre Auslandsverbindungen. Flugzeuge brachten aus England immer wieder Agenten, Offiziere, Propagandamaterial, amerikanische Dollars und Nachrichtenmittel. Geheime Landeplätze entstanden in den Wäldern… Zu einer Zeit, da die Rote Armee die eigenen Partisanen unmittelbar im Rücken der Deutschen versorgen musste, formierte die A. K. bereits bewaffnete Kader, die sie schonte, die sie niemals einsetzte, die aufgespart wurden für den einen großen Schlag, der gleich nach Ankunft Mikolajczyks in Moskau hier gefallen war. – Trotz alledem: gemeinsames Handeln!
Jetzt lag der erste Draht vor ihm, zerriss den Nachthimmel mit seinen Stacheln. Der Hauptmann wandte den Kopf. „Die Schere“, flüsterte er. Stefan Gorski, der zweite Mann des Stoßtrupps, schob sich neben ihn. Er hatte, als er auf dem Grunde des Grabens lag, an andere Dinge gedacht. Die Nacht war still, da tauchten vergessene Bilder auf, Erinnerungen wurden wach. Wie ein Film zog es an seinen Augen vorbei, ein Film, der etwas zu schnell lief, denn hinter seinen Lidern pulsierte das Blut rascher als sonst…
Er sah sich an einem Winterabend vor jenem Haus an der Weichsel stehen, dicker Schnee war gefallen, ein Eiswind blies und trieb pulvrige Fahnen vor sich her. Durch den dünnen Mantel biss er sich, stieß ihm körnige Kristalle ins Gesicht, drang in Nase und Ohren… Aber Stefan spürte ihn kaum, immer wieder vergaß er, wie ihn fror. Er sah hinauf zu den Fenstern des ersten Stocks, aus einem sickerte durch den Spalt zwischen Verdunkelungsblende und Mauer gelbes Licht, er wusste: dort lag sie. Sonja war krank, sollte hohes Fieber haben, und er durfte nicht zu ihr hinauf, Malewski hatte es verboten. Es war ganz zwecklos zu klingeln; Malewski und auch Sonjas Mutter hätten ihn nicht eingelassen. So lief er draußen im Schnee auf und ab, um seinem Mädel nah zu sein – bis plötzlich die Tür knarrte und Irena herausschlüpfte! Heute noch ärgerte es ihn, dass er damals weggelaufen war. Sicher wollte sie etwas bestellen, und auch er hätte ihr einen Gruß auftragen können, doch als sie auf ihn zukam, erschien ihm auf einmal sein stundenlanges Herumstapfen nutzlos und töricht, er fürchtete, Irena würde den Mund verziehen und in helles Lachen ausbrechen… Richtige Angst hatte er davor, sie war doch noch ein Kind, sie pflegte Sonja sowieso komische Fragen zu stellen. „Nicht wahr“, sollte sie sich ernsthaft erkundigt haben, „du und Stefan – ihr habt euch gern, ist das nun richtige Liebe?“ Und dann war sie rot geworden, hatte laut herausgeprustet und gekichert – so jedenfalls erzählte es Sonja später. Nein, auslachen lassen wollte er sich von Sonjas kleiner Schwester nicht!
Klick – machte die Schere, die beiden Enden des durchgekniffenen Stacheldrahts schleiften über das Gras.
„Jetzt den“, befahl Henryk.
Klick – Ein Maschinengewehr begann zu spucken.
Sonja! dachte der Junge, wenn mich jetzt so eine Kugel trifft, wirst du’s vielleicht niemals erfahren! Nun lag er still, schien mit der Erde zu verschmelzen. Das deutsche MG hämmerte noch immer… Er hatte sie während der letzten Woche in jeder freien Minute gesucht, hatte so viele Menschen nach ihr gefragt, dass ihm klar geworden war: hier im Südabschnitt konnte sie nicht sein. Einmal hatte er eine Meldung ins Stadtzentrum überbracht, war zwischen den Feuerstößen deutscher Maschinenpistolen über die Aleja Jerozolimska gesprungen, hatte sich durch Qualmwolken, niederbrechende Balken, glühende Trümmer gearbeitet (die Faschisten brannten gerade die Häuser im Abschnitt Marszalkowska/Nowy-Swiat nieder) und war, nachdem er die Nachricht übergeben, zum Weichselufer hinabgelaufen. Ja, ihr Haus stand noch. Sie hockten im Keller: Sonjas Mutter, die kleine Irena und dieser Malewski. Ein deutsches Kanonenboot kreuzte vor der Hafeneinfahrt und beschoss die Uferstraße, sie zuckten bei jedem Einschlag zusammen. Von Sonja wussten sie nichts.
Nur, dass Polizisten sie verhaften wollten, wenige Stunden bevor der Aufstand ausbrach; dass ein deutscher Offizier, der bei ihnen im Quartier lag, die Polizei hinausgeworfen hatte (dies erwähnte nur Irena – die anderen bestätigten es nicht); dass die Mutter ins Werk gelaufen war, um das Mädel zu warnen, es jedoch nicht angetroffen hatte. Bleich waren ihre Gesichter, von Furcht und Sorge verzerrt, die Mutter begann zu jammern, auch ihr Wladek sei fort, sie wisse nicht…
Stefan war bald wieder gegangen, er nahm den gleichen Weg durch die Ruinen wie damals im Winter, als er vor Irena weglief. Vieles hatte sich seitdem geändert, die Rollen waren vertauscht: sie dachten diesmal nicht daran, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen; seine Fragen erschienen ihnen ganz natürlich, für das Versprechen, Sonja zu suchen, waren sie ihm dankbar. Sie hatten sich alle verändert, besonders die kleine Irena: ihre samtbraunen Augen schimmerten feucht, sie achtete kaum auf das Heulen der Granaten draußen, ein sonderbarer Zug kindlicher Trauer lag um ihren Mund. Sie fragte – als sie ihn hinausgeleitete – danach, was die Aufständischen mit deutschen Soldaten machten, die in ihre Hände fielen. Man behandele sie wie Kriegsgefangene, sagte er; wenn sie ärztliche Hilfe brauchten, bekämen sie die, soweit das hier eben möglich sei. Ob sie geglaubt habe, polnische Widerstandskämpfer seien SS-Leute? – Da hatte sie heftig den Kopf geschüttelt, ein paar Mal geschluckt und ihm wortlos die Hand gedrückt…
Das Maschinengewehr war verstummt.
Erstmals 1987 brachte der Kinderbuchverlag Berlin „Umberto“ von Günter Saalmann heraus: Umberto, Schüler einer sechsten Klasse in einer typisch sächsischen DDR-Schule, hat keinen Ranzen, keine Hefte, aber ein, zwei Bücher, die er vor seiner Mutter versteckt, um sie vor dem Verfeuern zu bewahren. Vor Lehrern und Mitschülern, die von ihm sagen, dass er stinkt, spielt er den Clown, um auf sich aufmerksam zu machen und Zuwendung zu finden. Er stellt schließlich alles an, dass auch die staatliche Jugendhilfe sich seiner annimmt. Seine Flucht „nach Afrika“ endet schließlich dort, wo er längst hin will: In einem Kinderheim, und das ist nicht das Schlechteste, was einem wie ihm passieren kann. Als wir Umberto das erste Mal treffen, sitzt er gerade in der Badewanne:
„Kapitel 1
Bekanntschaft mit dem nackten Helden. Umberto beweist seine zwanglose Haltung zu schulischen Pflichten und erfährt bitteres Unrecht. Ein Kumpel von besonderer Sorte.
Da hockt er in der Wanne, Umberto Medock, ein nackter Mensch-Anfänger, kratzt sich einen Schorf vom Knie, wundert sich, dass er im Sitzen Querfalten im Bauch hat, und erklärt einer nassen Herbstfliege, die er im Deckel vom Badeshampoo gondeln lässt: „’ne Badewanne. Wanne, Klobecken, Gasboiler, alles neu. Gestern waren sie vom Kreis hier, verstehst du, die Frau Jugendhilfe, und die Monteure haben die Rohre gelegt.“
Er blinzelt sich den klebrigen Schlaf aus den Augen. Seine Unterlider sind von Fältchen geknifft, die dem Jungengesicht einen listigen, übermüdeten Ausdruck verleihen, wie man sie sonst bei Kindern nicht sieht. Insgesamt jedoch – kein übler Anblick, dieser Umberto Medock.
Jetzt leert er mit entschlossenem Daumendruck die Shampooflasche bis zum Grund und beginnt mit dem Küchensieb Schaum zu schlagen. Gewaltig ist die Wirkung: Erst quillt die Wanne über, dann fliegen die Schaumfetzen, weiß, weiß, weiß, setzen sich auf die Windeln, die zum Trocken hängen, auf die Wand. Umberto glitscht aus dem Wasser, öffnet das Fenster und schaufelt mit dem Sieb das weiße Zeug hinaus in den Oktoberregen.
Durch die Frongasse kommen zwei geblümte Kinderschirme angequirlt. Unter dem einen blitzt ein signalgelber Anorak: Aleksandra Krautwein, die Neue in der 6c, der Klasse, die auch Umberto besucht. Hihi. Besucht. Fein ausgedrückt. Der andere Schirm gehört dem wundergottbraven, gescheiten, pünktlichen Raul Fiebig. Die zwei sind bereits dicke Tinte, sie haben ihre Ranzen aneinandergeknotet und tragen sie am Riemen zwischen sich.
Eine Ladung Schaum segelt hinunter, landet auch richtig auf Aleksandras Schirm, leider unbemerkt. Zwei Paar bunte Gummistiefel verlieren sich im rauschenden, hupenden, brummenden Gewühl des Marktes. Umberto besitzt keine Gummistiefel für solches Mistwetter, er wird sich Zeit lassen mit dem Schulweg.
Seelenruhig steigt er in seine Sachen. In der Turnhose klafft ein Dreieck. Na und, kommen die langen Hosen drüber. Den etwas ausgeweiteten Pullover stopft er in den Bund, so sitzt alles fest und kann nicht rutschen. Endlich verstaut er den Familienwecker in seiner Anoraktasche und kracht die Wohnungstür hinter sich zu. Sollen Ilona und das Baby gefälligst jetzt aufwachen. Unten im Hausflur steigt er über Farbeimer und ausrangierte Heizkörper. Die Imbissstube ZUM IGEL wird renoviert.
Durchgeregnet steht er dann in der Klassenzimmertür. Eben ist die Leistungskontrolle vorüber: Aleksandra stakst zurück zu ihrem Platz, hochrot im Gesicht. „Noch gerade Drei“, sagt Frau Lehrerin Krautwein zu ihrer Tochter und wendet sich dem Nachzügler zu: „Na, Umberto, mal wieder der verflixte Wecker?“ Umberto zerrt den Wecker aus der Tasche. Ehrliche Entrüstung malt sich auf seinen Zügen: Darf man ihn zu allem Unglück hier verspotten?
Die Lehrerin forscht in seinem Gesicht. Sie kann in den weit aufgerissenen, rot geriebenen Augen keine Spur von Scheinheiligkeit entdecken. Zögernd glättet sich die steile Falte auf ihrer noch jungen Stirn. Und Umberto macht einen Schritt und hebt ihr den Wecker ans Ohr. Ob sie aus der Nähe seinen angenehmen Fichten-Badegeruch schnuppern kann? Er sieht ihre Nasenflügel zittern.
Die Klasse lauscht: Kein Weckerticken ist zu hören, soviel ist amtlich. „Junge, überleg doch mal“, sagt die Pädagogin. „Soll es wieder Einträge und Verwarnungen regnen, wie in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft?“
„Ja“, spricht Umberto, heiser vor Hoffnung, „es wäre vielleicht besser.“ Dabei blitzt er streng den Wecker an. Gleich muss sie sein Schülertagebuch verlangen, und er muss antworten, dass es verloren ging. Ein großes Traritrara wird losgehen, und sie wird sich eine Viertelstunde bloß mit ihm abgeben, mit ihm ganz allein.
„Na, häng deinen Anorak hinaus und nimm Platz.“
Er rennt noch einmal auf den Gang zu seinem Garderobenhaken. Den Wecker zieht er ein bisschen auf, auch das Läutwerk, und zwängt ihn zurück in die Anoraktasche.
Frau Krautwein aber wickelt soeben aus Zeitungspapier eine Topfpflanze. Die blüht über und über blaulila, jede Blüte hat in der Mitte ein leuchtendgelbes Sternchen. „Schade“, meint sie, zur Klasse gewendet, „jammerschade, dass auf Umberto so wenig Verlass ist. Da wird er wohl unser afrikanisches Veilchen sterben lassen, wenn er die Pflege übernimmt, wie er gestern versprach.“ „Ich mach’s schon“, knurrt Umberto. „Ist es wirklich aus Afrika?“ Er nimmt die Pflanze und trägt sie behutsam aufs Fensterbrett neben seinem Platz. Wenn hier einer was von Afrika versteht, dann er.“
Gerade eben ließ die Gemeinde Pinnow bei der EDITION digital das informativ-unterhaltsame Buch „Als ein Schinken vom Himmel fiel. Sagen aus Pinnow und aus der Nachbarschaft. Nacherzählt und neu gefasst – mit Deutungen und mit Hintergründen“ von Herbert Remmel veröffentlichen – und zwar sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book: Wieso geistert in zahlreichen Sagen das Petermännchen aus Pinnow durch das weit entfernte Schweriner Schloss, als wäre es dort zu Hause? Warum melkt eine alte, untadelige Raben Steinfelder Bäuerin Kühe durch die Wand, obwohl der Milchraub doch der klassische Schadenzauber der Hexen war. Woran dachten die Pinnower Bauern, als sie in ihrer Sage einen Rehschinken vom Himmel fallen ließen. Warum hausen die Weißen Frauen (oder sind es gar die weisen Frauen?) von Sukow unter einem Kuhstall und haben Wechselbälger bei sich? Warum darf Herzog Karl Leopolds Name in der Sage nicht erwähnt werden? Kann die sprachliche Analyse eines Flurnamens uns den historischen Wahrheitsgehalt einer Sage vermitteln? Volkssagen haben oft mehr zu sagen, als es der Wortfluss der Erzählung und die Semantik der Wörter hergeben. Die inhaltlichen Sagenstoffe reflektieren die gesellschaftlichen und historischen Situationen, in denen diese Sagen entstanden sind. Sie haben meist Hintergründe, die für die damaligen Zeitgenossen bekannt waren, uns heutigen Lesern oft aber verborgen sind. Zudem ist in der langen Zeit der Tradierung von Sagen über Generationen hinweg vieles vom alten Sagenstoff verblasst sowie Neues hinzugedichtet worden ist – Vorsicht und Zurückhaltung sind bei der Deutung alter Sagen also angebracht. In diesem Büchlein soll versucht werden, einige Sagenhintergründe aufzudecken und einige Sagen, die in der Kleinregion rund um Pinnow kursierten und heute noch erzählt werden, zu deuten. Die vom Autor nacherzählten Sagen wurden auf zauberhafte Weise von Ines Höfs illustriert. Und hier ein sagenhaftes Beispiel, in dem es um die Unterirdischen geht, die mit einer goldenen Wiege zum Hilligen See ziehen:
„Nun waren die Petersberger Leute aber alle sehr neugierig, und sie wollten doch so gerne mal einen Blick auf die Unterirdischen werfen. Und da diese sich nicht zeigten, legten sich in einer mondhellen Nacht die Söhne des Bauern Tätow in einem Holunder-Gebüsch am Twält Weg, heute Weg An der Koppel, auf die Lauer.
Als nun die Mitternachtsstunde begann, da hörten sie am hohen Berg (später Petersberg) ein Knirschen und ein Knacken, und sie sahen, wie sich dort ein Tor auftat und aus dem Inneren des Berges ein heller Lichtschein nach außen drang. Mit dem Lichtschein kam ein Zug von kleinen Leuten aus dem Berg, die einen Wagen zogen, auf dem eine goldene Wiege festgebunden war. Während die Unterirdischen den Wagen über den Acker zogen, redeten und plapperten sie miteinander und lachten so fröhlich, dass den Tätowschen Jungs alle Angst verging. Doch sich den Unterirdischen zu zeigen, das trauten sie sich nun doch nicht. Sie blieben mucksmäuschenstill im Gebüsch liegen und schauten zu, wie die Unterirdischen unten am Hilligen See die goldene Wiege von dem Wagen nahmen und aus der Wiege ein Baby hoben. Und als sie soeben dabei waren, das Neugeborene näher an das Wasser des Hilligen Sees zu tragen, da verdunkelte plötzlich eine große Wolke den Mond und die Nacht war stockfinster. So konnten die beiden Tätows nur hören, wie die Unterirdischen wenig später den Wagen mit der Wiege zurück zum hohen Berg zogen. Dort tat sich wieder die große, hell erleuchtete Höhle auf, worin die Unterirdischen verschwanden. Als die beiden Burschen zu Hause ihre Beobachtungen erzählten, da sagte die Mutter, dass die Unterirdischen wohl ihre Kinder im Hilligen See taufen würden.
Am nächsten Morgen wollten sich die beiden Jungs die Stelle am Ufer des Hilligen Sees anschauen, wohin die Unterirdischen ihren Wagen mit der Wiege gefahren hatten. Und als sie am Ufer herumsuchten, da glaubten sie ihren Augen nicht zu trauen: Auf einem großen Stein am Seeufer glitzerten und funkelten drei goldene Münzen in der Sonne, dass es eine Pracht war. Sie nahmen die Münzen mit nach Hause und an einem der nächsten Markttage gingen die beiden Tätows mit den goldenen Münzen nach Schwerin und kauften dort lederne Stiefel für die ganze Familie.
Nun legten sich auch Leute aus Pinnow am Twält Weg auf die Lauer, denn auch sie wollten mal diese eigenartige Prozession der Unterirdischen zum Hilligen See mit eigenen Augen sehen. Vor allem aber hofften sie, auch goldene Münzen zu finden, mit denen sie sich dann lederne Stiefel kaufen könnten, denn als arme Bauern hatten sie nur diese harten und unbequemen Holzschuhe, diese Clogs, an den Füßen. Und tatsächlich, hin und wieder, wohl alle drei, vier Monate, kamen die Unterirdischen mit ihrer Wiege zum See gefahren.
Und so oft aber die Leute danach hinunter zum See und zum großen Stein gelaufen sind, goldene Münzen wurden nie wieder am Hilligen See gefunden. Da die Bauern aus dem Dorf aber nun glaubten, dass das Wasser des Hilligen Sees heilig sei, da holten sie fortan das Taufwasser für ihre Neugeborenen aus dem See. Und auch die Toten wurden mit dem Wasser des Sees gewaschen, bevor man sie zu Grabe trug.“
Erstmals 1986 hielten Leser und Sammler der damals sehr beliebten Reihe „Das neue Abenteuer“ des Verlages Neues Leben Berlin als Heft 477 die wissenschaftlich-fantastische Erzählung „Vikonda“ von Carlos Rasch in ihren Händen: Jill und Leo wurden von der Erde zu einem Planet der Wega geschickt, um nach einer von fünf Erkundungsgruppen der MORGENSTERN zu suchen, die seit Jahren vermisst wurden. Als sie mit einem Raumgleiter am Strand einer Insel landen, werden sie von großen, käferähnlichen Wesen, den Krabbieren, gefangengenommen. Leo überlebt den Kampf nicht, aber Jill wird, schwer verletzt, von Vitrée Lavál, einer Überlebenden der MORGENSTERN, gesund gepflegt. Vitrée kann sich inzwischen mit den Bewohnern verständigen und erwirkt für Jill eine VIKONDA, nach der der Visionär über das Schicksal von Jill entscheidet. Werden beide die Insel wieder verlassen können? Und so fängt das Buch an:
„Vikonda
Der Raumgleiter stürzte aus den unendlichen Weiten des gestirnten Himmels, verließ den Nachtschatten des Planeten, durchbrach im Morgenrot eine Wolkenbank und fegte dann hoch über die Inseln, sein Ziel, hinweg.
„Sechs Planquadrate“, sagte Jill.
„Der Tag wird drüber hingehen“, brummte Leo.
Er steuerte den Raumgleiter in einer ausholenden Kurve zu den Inseln zurück, um mit der Suche nach einer von fünf Erkundungsgruppen der überfälligen MORGENSTERN zu beginnen. Die Inseln unter ihnen lagen auf der Linie des vermuteten Absturzes. Jill schaltete die Spürgeräte ein, und Leo stabilisierte den Flug in mittlerer Höhe.
„Verdammter Wasserplanet“, murrte er. „Inseln, nichts als Inseln.“
Jill wusste, was der Pilot damit andeuten wollte: Falls die Erkundungsgruppen der MORGENSTERN ihren Absturz auf dieser fremden Welt überstanden haben, ist die Wahrscheinlichkeit, ins Wasser zu fallen, größer gewesen als die, eine Insel zu erreichen. Und die Havarie lag schon mehrere Jahre zurück.
„Eigentlich ideale Lebensbereiche, diese Archipele“, stellte Jill fest, „sogar für Überlebende, die über Tausende Meilen verstreut sind.“
„Aber nur für diejenigen, die an ein Ufer gelangt sind. Um monatelang auf See zu treiben, dafür waren die Kapseln nicht ausgerüstet.“ Und einen Stützpunkt für die Raumflotte, wie sie ihn als Vorkommando errichten sollten, haben sie unter diesen Bedingungen sicherlich auch nicht anlegen können, dachte er.
Nebelbänke lagerten zu dieser frühen Stunde über den Inseln und erschwerten die Beobachtung. Deshalb sah Jill nur selten hinaus und achtete mehr auf die Anzeigen der Spürgeräte, die Notsiedlungen oder Überreste der Module orten sollten.
Von der Kreisbahn im Orbit kam eine Anfrage der ABENDSTERN. „Habt ihr schon Anhaltspunkte oder irgendeine Spur?“, wollte Rickmar wissen.
„Noch keine, Kommandant“, meldete Jill. „Wir haben eben erst angefangen.“
Rickmar hatte keinen Funkverkehr zwischen den vermissten Landegruppen des Schwesterschiffes feststellen können. Das war besorgniserregend. In den zurückliegenden Tagen beim Umkreisen dieser Welt, die auf den Sternkarten unter dem Namen ARCHIPELKA eingetragen war, hatten sie nicht das kleinste Signal der Vorausgruppen aufgefangen. Eigentlich aber schien es unmöglich, dass nicht wenigstens zwei oder drei von den fünf Modulen, in die sich die MORGENSTERN beim Landeanflug sicherlich planmäßig aufgeteilt hatte, heil unten angekommen waren.
„Erkunder zwei ist jetzt im Anflug auf den Nachbararchipel westlich von euch“, informierte sie der Kommandant. „Und Erkunder drei wird in wenigen Minuten auch den Orbit verlassen.“
Die Suchaktion war also voll angelaufen. Jill hielt Verbindung zur ABENDSTERN, sprach aber nicht. Wahrscheinlich hatte sich die Mannschaft der MORGENSTERN beim Landeanflug so weit wie möglich an die Regeln gehalten. In diesem Fall war die Aussicht, schon bald auf die Spuren einer Landegruppe zu stoßen, gut. Der Bordcomputer der ABENDSTERN hatte Fallkurven der abgesprengten Module errechnet. Und eine wies auf diese Inseln.
Nach einer Weile reagierte eines der Spürgeräte mit einem leisen Ton. Sie verließen gerade das zweite Planquadrat, überquerten eine Meerenge mit Eilanden und hielten auf eine mittelgroße Insel zu.
„Anzeige: Metallkonzentration“, sagte Jill.
„Doch nicht etwa ein Modul?“, fragte Leo ungläubig.
„Sehen kann man nichts dort unten“, stellte Jill fest.
Leo ließ den Raumgleiter hinabstoßen. Heulend kurvte der im Tiefflug über einen Klippensaum hinweg. Tiere, die wie Riesenseesterne aussahen, lagerten auf dem Geröll. Herdenweise stürzten sie sich ins Meer. Die Anzeige auf dem Spürgerät war immer noch deutlich.
„Nichts zu sehen“, wiederholte Jill ärgerlich. „Alles nur Felsen, von Algenschlick überzogen.“ Hastig stoppte er die Aufzeichnungen und durchmusterte sie, während der Raumgleiter auf die See hinausstob und in einer weiten Schleife zurückkehrte. „Denselben Küstenabschnitt noch einmal“, verlangte er.“
1959 war im damaligen im Verlag Kultur und Fortschritt Berlin das Jahr der Ersterscheinung von „Die Hexylschmuggler“ von Heiner Rank – und zwar damals unter dem Pseudonym Heiner Heindorf sowie als 1. Augustheft im 10. Jahrgang der Kleinen Jugendreihe des Verlages: Der alte Schrotthändler Ellermann und sein Sohn Alfred besitzen einen Plan, wo in den letzten Kriegstagen in der Nähe des Ostseestädtchens Poltershagen Torpedos versenkt wurden. Das darin enthaltene Hexyl würde eine Menge Westgeld einbringen und für beide einen gelungenen Neustart in der BRD der 1950er Jahre. Sie brauchen Helfer zum Tauchen und engagieren zwei noch nicht 18 Jahre alte Jungen, Egon und Harry. Egons 14-jähriger Bruder Benno will ebenfalls mitmachen und schwört furchtbare Rache für seinen Rausschmiss. Er schleicht sich heimlich auf das Boot und belauscht die beiden Ellermanns. Bevor er ihr Vorhaben der Volkspolizei melden kann, wird er von den Ellermanns erwischt und übel zugerichtet, bis er vor Schmerzen verrät, dass er über alles Bescheid weiß. Als Benno über Nacht nicht nach Hause kommt und am nächsten Tag in der Lehre fehlt, suchen die beiden Größeren den Bruder und Freund. „Die Hexylschmuggler“ ist ein Krimi, der sich nun, nach fast 60 Jahren, fast wie ein historischer Roman liest, aber immer noch voller Spannung und Lesevergnügen. Beweis gefällig? Bitte folgen Sie mir an die nächtliche Ostsee:
„1. Kapitel
Die Ostsee wiegt sich in einer langen weichen Dünung. Der Sturm ist vorüber. Auf dem steinigen Strand liegen in dicken Schichten die angespülten Braunalgen. Ein Schaumstreifen schimmert wie ein weißes Band durch das Gewirr von dunklen Steinen und Seetang. Müde rollen die Wellen heran, lecken vergeblich nach den rundgeschliffenen Kieseln und gleiten dann kraftlos zurück.
Aus den Wolkenlücken schauen Sterne hernieder. Der Mond ist noch nicht aufgegangen. In der Ferne glänzen die Lichter der kleinen Küstenstadt Poltershagen. Die Fischkonservenfabrik arbeitet Tag und Nacht. Auch im Hafen herrscht noch reger Betrieb. Lastkähne werden mit roten mecklenburgischen Backsteinen beladen. Weit klingen die Arbeitsgeräusche durch die Dunkelheit: das Kreischen der Kräne, das Poltern der Loren, das harte Hämmern der Dieselmotoren.
Von See her tauchen jetzt zwei Positionslichter auf, ein grünes und ein rotes. Der plumpe schwarze Rumpf eines Kutters schiebt sich schwerfällig voran, am Bug eine schaumgekrönte Welle. Vorn an der Bordwand schimmert in weißen Buchstaben das Kennzeichen POL-113. Eifrig tuckert der Motor und schleudert mit den Abgasen Funken aus dem Schornstein. Der Kutter macht einen Bogen. Das Motorengeräusch wird leiser und erstirbt. Klatschend fällt der Anker ins Wasser: Max Ellermann, ein vierschrötiger älterer Mann, Besitzer des Kutters und der einzigen Schrotthandlung in Poltershagen, verlässt das verglaste Steuerhaus. Er trägt eine zerdrückte Schiffermütze und unter der Lederjacke nur ein schmutziges Turnhemd, das die Speckfalten seines Bauches kaum überspannen kann. Mit weitem Schwung wirft er die erst halb gerauchte Zigarre über Bord und starrt prüfend zu der etwa fünfhundert Meter entfernten Küste hinüber. Obwohl ihm die Lage der Sandbank, über der sich sein Kutter jetzt befindet, schon von mehreren Fahrten her genau bekannt ist, kontrolliert er noch einmal sorgfältig seine Position. Eine riesige, sturmzerzauste Kiefer, die sich dicht hinter den Dünen aufreckt, das Dach eines einsamen Strandhotels und die roten Warnlampen eines weiter landeinwärts liegenden Sendemastes des Küstenfunks dienen ihm als Orientierungspunkte. Der Dicke scheint mit dem Ergebnis seiner Prüfung zufrieden. Er nickt mehrmals vor sich hin und geht mit wiegenden Schritten nach vorn zu seinem Sohn, der an einer Winde mit schwenkbarem Lastarm beschäftigt ist. Dem Jungen hängen bei der Arbeit die schwarzen Haare in die Stirn, mit einer ruckartigen Kopfbewegung wirft er sie immer wieder zurück. Kaum älter als zwanzig Jahre mag er sein. Er hat ein breites Gesicht, die gleichen unruhigen, lauernden, eng zusammenstehenden Augen, die gleichen dichten, über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen wie der Alte. Auch im Körperbau ist die Ähnlichkeit nicht zu verkennen.
Gemeinschaftlich montieren nun Vater und Sohn die Winde. Ihre Handgriffe verraten Übung. Trotz der Dunkelheit verläuft die Arbeit fast geräuschlos und ohne Stocken. Bald reckt sich der Tragarm über Bord. Eine Stahltrosse, deren Ende gegabelt ist und in zwei kräftigen Haken ausläuft, gleitet nun über eine Rolle ins Meer. Der Junge zieht sich das Hemd über den Kopf, lässt die Hose fallen und schüttelt sie und die Schuhe von den Beinen. Dann schlüpft er in ein eng anliegendes Wolltrikot und zieht darüber einen schwarzen, den ganzen Körper und auch den Kopf mit einer Art Kapuze einhüllenden Gummianzug, der ihn gegen die Kälte des Meerwassers schützen soll. Ellermann klappt eine Kiste auf und nimmt ein Tauchgerät heraus. Inzwischen hat sich Alfred einen Gürtel mit Bleigewichten umgeschnallt, Schwimmflossen an den Füßen befestigt und eine mit Gummidichtungen versehene Brille über die Augen geschoben, die auch die Nase vor dem Wasser abschließt. Der Alte hängt ihm die Sauerstoffflaschen auf den Rücken, schließt die Gurte und hilft seinem Sprössling beim Übersteigen der Bordwand. Dann drückt er ihm eine wasserdichte Handlampe und eine kurze, mit einem kräftigen Haken bewehrte Eisenstange in die Hand.
Einen Augenblick später verschwindet Alfred glucksend in der Tiefe Ellermann lässt die Stahltrosse nicht aus den Augen, er setzt sich auf eine Kiste an der Bordwand und wartet. Einige Minuten vergehen. Doch das erwartete Zeichen bleibt aus. Ellermann wird unruhig. Er steht auf, brennt sich eine Pfeife an und nimmt die Windenkurbel erwartungsvoll in beide Hände. Doch nichts geschieht; nur eine dicke Luftblase stößt blubbernd nach oben. Kurz darauf erscheint Alfreds Kopf über Wasser. Der Junge zieht sich das Atemgerät vom Mund und lässt sich an Bord helfen. Er sieht erschöpft aus. Sein Atem geht stoßweise.
„Was ist denn passiert?“, fragt der Alte beunruhigt. Alfred schüttelt unwillig den Kopf. „Ich schaff es nicht allein. Die Torpedoköpfe hab ich auf Anhieb gefunden, aber sie haben sich in den Grund gebohrt, ohne Hilfe krieg ich sie nicht heraus. Wir brauchen noch ein oder zwei Mann, die auf der anderen Seite den Haken ansetzen, sonst kannst du dir dein Hexyl in den Schornstein schreiben.“ Er nimmt sein Sauerstoffgerät herunter und stellt es auf die Planken. „Für heute können wir Schluss machen. Ich hab doch gleich gewusst, ohne die Reinickes ist es sinnlos. Glatte Zeitverschwendung. Wär’ ich lieber zum Schwof gegangen.“
Ellermann kratzt sich den Specknacken. „Red keinen Quatsch. Wir müssen die restlichen fünftausendvierhundert Kilo haben. Das sind nur noch neun Sprengköpfe. Wenn wir die sechs dazurechnen, die schon eingebracht sind, ergibt das neuntausend Kilo. Das Kilo sieben Westmark, insgesamt also dreiundsechzigtausend, genau die Summe, die wir brauchen, um die Firma Heise und Co. wieder flottzumachen.“
Der Junge zuckt mit den Schultern. „Wieso müssen wir uns eigentlich auf den Kopf stellen, um das Geld heranzuschaffen? Soll doch der alte Heise selbst sehen, wie er sein dämliches Schifffahrtsunternehmen wieder auf die Beine bringt. Er hat doch alles versaut. Wenn ich rübergehe, will ich von meinen Mäusen was sehen: anständige Klamotten, ein Auto, Reisen. Und dann mal wirklich leben, in Hotels und so.“
„Blödsinn! brummt der Alte und spuckt verächtlich in die See. „Alles verjubeln und versaufen! Das ist die heutige Jugend! Früher, als ich ein Junge war, hab ich Alteisen gesammelt und jeden Pfennig auf die hohe Kante gelegt. In deinem Alter hatte ich schon ein paar Tausend Mark gespart. Eine eigene Reederei, das war mein Traum, denn das hat goldenen Boden. Und jetzt, wo das Ziel fast erreicht ist, soll ich aufgeben. Nie und nimmer! In acht Tagen haben wir die neun Köpfe gehoben und sind in Lübeck. Der Heise tut, was er kann, das weiß ich genau.“
Fast noch druckfrisch ist das soeben als Eigenproduktion der EDITON digital und zwar sowohl als gedruckte Ausgabe wie als E-Book erschienene Kinderbuch „Der Kuckuck im Auto“ von Brigitte Birnbaum: Tatsache! Kaum zu glauben! „Unser Auto hat einen Vogel!“, stellen Anna-Marie und Sven fest. Wie ihn vertreiben? Sie wollten doch mit Mama und Papa zur Oma fahren. Oder etwa nicht? Nicht nur ein Kuckuck, auch ein leibhaftiger Storch versetzt Kinder in Aufregung. Er sprengt in der 2a die Lesestunde zur Freude von Moritz, Benni und allen, nur die Lehrerin stört sein Abenteuer. Ganz andere Probleme haben Frank und Silvi mit ihren Wunschzetteln. Und noch heftiger wird es bei Antje, Nina und ihrer Mutter, wo sogar nachts die Polizei mit Blaulicht anrückt. Netti, der Schwester vom Nieles, gefallen Abenteuer sehr und sie ist überzeugt, dass Bücher zaubern können. Sie hat es schon ein paar Mal erlebt. In dem Blumenkasten auf dem Balkon entdeckt Stefan ein Ahörnchen. Vielleicht entwickelt sich daraus ein großer Ahorn als Beginn eines Räuberwaldes. All das erwartet den Leser und die Leserin in den sechs Geschichten und einem Märchen, versehen mit lustigen Zeichnungen von Tina Halm. Als kleinen Vorgeschmack präsentieren wir Ihnen hier nicht den titelgebenden „Kuckuck im Auto“, sondern die Erzählung „Schornsteinfeger Adebar“. Und dazu begeben wir uns in eine Schule:
„Die 2a hatte Lesen. Moritz sprang auf und schrie: „Nu ist er reingefallen!“ Frau Hut erschrak. Moritz spielte gern den Kasper. Dann gabs bei den übrigen Kindern kein Halten. Und schon echote sein Freund Benno: „Ja, er ist reingefallen.“ Auch Benno hatte nicht mitgelesen, hatte wie Moritz aus dem Fenster geguckt. Aufgeregt bestätigte er: „Er ist in den Schornsteingefallen. Reingeschubst haben sie ihn.“ Die ganze 2a stürzte Moritz und Benno nach an die Fenster. Nur Frau Hut blieb am Lehrertisch. Mit dieser Klasse hatte sie oft ihre liebe Not. Keiner hörte ihr zu. Alle hörten auf Moritz und Benno, die schworen: drei Störche hätten sich auf dem Schornstein der Molkerei gestritten.
Um den Schornstein. Nein. Auf dem Schornstein. Einen von ihnen hätten die beiden anderen Störche reingestoßen, reingeschubst, und seien weggeflogen. Einfach abgehauen. Ehrlich! Die Molkerei stand seit dem Herbst leer. In ihr wurde nicht mehr gearbeitet.
„Wir müssen ihn rausholen!“
„Wie denn?“
Tolle Vorschläge schwirrten durch den Raum und dann klingelte es zur Hofpause.
Ein Mädchen lief zum Hausmeister. Der war nicht da.
Im Lehrerzimmer glaubte keiner an den reingefallenen Storch.
„Sind denn die Störche überhaupt schon hier Niemand hatte darauf geachtet, am wenigsten Frau Hut. Sie wusste ja auch nicht, dass die Schüler sie hinter ihrem Rücken Frau „Mütze“ nannten und die Großen sogar „Schlafmütze“.
Draußen brachten Moritz und Benno den Schulhof in Aufruhr. Sie rannten einfach rüber zur Molkerei. Torsten aus der Siebenten, Bennos Halbbruder, folgte ihnen. „Kommt zurück! Das gibt Ärger.“
„Wir müssen ihm helfen. Sonst krepiert er.“ Moritz heulte beinah.
„Er stirbt vor Angst.“
Zu dritt stiegen sie im Heizhaus ein. Nicht zum ersten Mal. Längst kannten sie sich hier aus. Aber unten in den Schornstein kriechen wollte doch keiner. Innen zappelte der Gefangene. Schlug verzweifelt mit den Flügeln. Die Jungen hörten es kratzen und schaben.
„Vielleicht ist der Hausmeister inzwischen zurück“, sagte Moritz bedrückt.
„Du kriegst ihn sowieso nicht.“ Torsten spuckte aus, stülpte sich die Anorakkapuze über den Kopf und band sie unterm Kinn zu. Dann versuchte er die Ofentür zu öffnen. Sie klemmte. Schließlich gab sie nach und Torsten verschwand im Feuerloch. „Au! Verflucht! Dummes Vieh!“
Das verängstigte Tier wehrte sich. Wirbelte Ruß und Asche auf.
Torsten nieste und hustete. Hätte er nicht schon bei Oma Hühner gefangen, wäre er nie mit dem Adebar fertig geworden. Erschrocken lauschten Benno und Moritz.
Endlich gelang es Torsten, den Storch am Schnabel zu packen und mit der anderen Hand an einem Bein. Fest an sich gepresst, zog er den Vogel rückwärts gehend mit heraus. Wie echte Schornsteinfeger sahen sie beide aus
Vor dem Heizhaus ließ er den Storch los. Der taumelte, knickste zu den Jungen hin, als wollte er sich für die Rettung bedanken, machte ein paar hüpfende Schritte, schüttelte sein verdrecktes Gefieder und breitete die Flügel aus.
Frau Hut, die mit dem Hausmeister angelaufen kam, sah ihn gerade davonfliegen. Sie staunte: „ Ein schwarzer Storch.“
„Wird sich im See baden wollen“, meinte Benno.
„Bestimmt.“ Moritz nickte.“
Und dafür, dafür, dass ein Geschöpf Gottes, ein Adebar gerettet werden konnte, dafür kann man schon mal undiszipliniert sein und nach der Rettungsaktion sogar aussehen wie die Schornsteinfeger selber. Es kommt doch immer darauf, was im Leben wirklich zählt – und das gilt für Menschenleben ebenso wie in diesem Falle für Storchenleben. Auch Störche haben Angst, wenn sie in einen Schornstein rutschen …
Ansonsten gilt aber natürlich, dass Lesen wichtig ist und dass man Lesen üben muss. Insofern stehen wir natürlich ganz auf der Seite von Eurer Lehrerin Frau Hut, liebe Mädchen und Jungen der 2a …
Schließlich heißt es nicht umsonst und so schön: Wer lesen kann, der ist klar im Vorteil. In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen, beim frühlingshaften Störchezählen natürlich auch (Haben Sie schon welche gesehen?) und bis demnächst.
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