„Dieser Versuch, nach wissenschaftlichen Kriterien nicht haltbare Ansichten und damit für Patienten mitunter gefährliche Therapieformen per Jurisdiktion durchzusetzen, ist unserer Kenntnis nach ein einmaliger Vorgang“, sagt Professor Sebastian Rauer, einer der beiden Koordinatoren der medizinischen Leitlinie. „Zum Glück ist das nicht gelungen. Die fachliche Mehrheitsmeinung, die nach größtmöglicher Objektivität strebt, kann nun publiziert werden – zum Wohle unserer Patienten.“
Professor Gereon R. Fink, Präsident der DGN, zeigt sich zufrieden: „Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie aktualisiert laufend rund 80 Leitlinien für die wichtigsten Krankheitsbilder und Therapieformen in der Neurologie. Wir sind froh, dass mit dem Urteil klargestellt ist: Leitlinien werden nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt und nicht nach spezifischen Interessen Einzelner.“
Die nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit der beiden genannten Organisationen für ihre speziellen Ansichten über Diagnostik und Therapieformen von vermeintlichen Neuroborreliosen ist seit Jahren bekannt. Um die teilweise diametral entgegengesetzten Ansichten wissenschaftlich abzugleichen, wurden die beiden Organisationen gezielt in die Entwicklung der S3-Leitlinie eingebunden. S3-Leitlinien zeichnen sich durch besonders aufwendige Recherchen und einen intensiven Konsensusprozess aus. Die mangelnde Diskurs- und Kompromissfähigkeit der beiden Organisationen setzte sich aber fort und gipfelte schließlich in dem Rechtsstreit beim Landgericht Berlin.
Unzureichender Nachweis der Krankheit
Lyme-Borreliose ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland infizieren sich jährlich zwischen 60.000 und mehr als 200.000 Menschen mit dem bakteriellen Erreger. Die Borrelien befallen vorwiegend die Haut, können sich aber auch im übrigen Körper ausbreiten. In 3 bis 15 Prozent der Fälle ist das Nervensystem betroffen. Hinsichtlich der Diagnostik und Therapie der akuten Neuroborreliose besteht weitgehende Einigkeit zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den beiden Organisationen. Bei der späten Neuroborreliose und vermeintlich latenten Langzeitinfektionen gehen die Meinungen jedoch so weit auseinander, dass keine inhaltliche Annäherung möglich war. Den so genannten Lymphozyten-Transformationstest, der bei diffusen Beschwerden, wie chronischer Müdigkeit, muskuloskelettalen Schmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen, eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig, da er nicht in zuverlässigen wissenschaftlichen Studien evaluiert ist.
Von der Antibiotika-Langzeittherapie mit großem Risiko für Nebenwirkungen wird abgeraten
„Für eine Langzeitbehandlung der Neuroborreliose mit Antibiotika über mehr als drei Wochen, wie sie von manchen Ärzten durchgeführt wird, gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Sie birgt aber ein großes Risiko für Nebenwirkungen“, betont Professor Sebastian Rauer. „Als Ärzte stehen wir in der Verantwortung, unsere Patienten vor Heilversuchen, deren Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist, die aber schaden können und für die sie mitunter große Summen aus eigener Tasche aufbringen müssen, zu schützen“, betont Rauer. Die S3-Leitlinie der DGN wird Ärzten und Patienten nun Sicherheit auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand geben.
Quelle
Rauer S., Kastenbauer S. et al. S3-Leitlinie Neuroborreliose. 2018. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg., Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online in Vorbereitung: www.dgn.org/ leitlinien und www.awmf.org
Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Professor Dr. med. Sebastian Rauer
Neurologische Universitätsklinik
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Tel.: +49 (0)761 270 53070 oder +49 (0)761 270 50010
E-Mail: sebastian.rauer@uniklinik-freiburg.de
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c/o albertZWEI media GmbH, Oettingenstraße 25, 80538 München
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Die Leitlinien der DGN
Die Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener (Essen) und Prof. Dr. Christian Gerloff (Hamburg) bringt mit ihren circa 80 medizinischen Leitlinien neue wissenschaftliche Erkenntnisse schnellstmöglich in die therapeutische Praxis und damit an die Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Leitlinien spielen damit eine wichtige Rolle für die schnelle und kompetente Verbreitung von Forschungsergebnissen. Verfasst werden die Leitlinien für Diagnostik und Therapie von Redaktionsteams ausgewiesener Experten auf dem jeweiligen Gebiet, unter Beteiligung von österreichischen und Schweizer Neurologen, teilweise auch unter Beteiligung von Therapeuten und Patientenvertretern. Wichtig ist die höchstmögliche Objektivität der ausgesprochenen Empfehlungen. Aus diesem Grund erfolgen die Zusammenstellung der Leitliniengruppe und die Konsensfindung bei Empfehlungen nach klaren Vorgaben auf Basis des Regelwerks der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Alle Leitlinien der DGN sind auf www.dgn.org frei zugänglich publiziert.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren rund 9000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
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