Geheimnisvolle Nächte außerhalb der Zeit
Für unsere Vorfahren war die Zeit zwischen den Jahren eine ganz besondere Phase. „Es war eine Zeit außerhalb der Zeit, mit langen, kalten Nächten, in denen die Tore zur Ahnen- und Anderswelt weit offen standen“, schreibt der Münchener Mythenforscher und Sachbuchautor Gerhard Merz in seinem neuen Kompakt-Ratgeber „Rauhnächte“. Die zwölf Tage und Nächte rund um den Jahreswechsel waren „voller Magie, in denen wilde Geisterheere über das Land tobten, Hexen, Teufel und Kobolde den Menschen Angst und Schrecken einjagten, in denen althergebrachte Bräuche und Rituale ausgeübt wurden“.
Zum Schutz vor Dämonen wurden Haus und Hof geräuchert. Es wurde nicht mehr gearbeitet, es wurde des vergangenen Jahres gedacht: Was war gut im alten Jahr? Was bringt das neue? Wie dreht sich das Rad des Lebens weiter? Die Rauhnächte bieten auch für moderne Menschen die Gelegenheit, einmal den Alltag loszulassen, in die Stille zu gehen, nachzudenken, Rückbesinnung zu üben, um sich selbst näherzukommen. Das hilft, neue Kräfte und Energien zu sammeln.
Aberglaube und Brauchtum
Die Tage um den Jahreswechsel gelten als die eigentliche Rauhnachtzeit. In einigen Regionen (Norddeutschland, Süddeutschland, Österreich, Tirol) beginnen die Rauhnächte auch zu anderen Zeiten, etwa am 1. Dezember. Sie enden am 6. Januar, dem Dreikönigstag. In Bayern fangen sie am Thomastag (21. Dezember) an, in Franken und Mecklenburg sind es die zwölf Tage nach Neujahr. Grundsätzlich entsprechen sie der Differenz zwischen dem Mondjahr (354 Tage) und dem Sonnenjahr (366 Tage).
Nach altem Volksglauben ist es eine besondere Zeit, in der Träume wahr werden, in der sich der Schleier der Anderswelt für zwölf Nächte hebt. Es sind die Nächte außerhalb der Zeit, in der bestehende Naturgesetze und Regularien außer Kraft gesetzt und die Tabugrenzen zu anderen Welten und Sphären weit geöffnet sind. Wer berufen sei, zu sehen und wahrzunehmen, könne viel über sich, über sein Leben und über zukünftiges Geschehen erfahren.
In den Rauhnächten sollte man das sichere Haus nicht verlassen, denn um Höfe und Anwesen schleichen Dämonen, Werwölfe, Hexen, Teufel und andere üble Geisterwesen und bedrohen Menschen und Tiere. Vor allem um Silvester galt das überirdische Treiben besonders wild, weshalb bis heute der Jahreswechsel mit Böllerschüssen und Glockengeläut begangen wird, um das Böse zu bekämpfen.
Bedeutung und Besinnung
Es gibt verschiedene Überlieferungen, woher sich die Bezeichnung ableitet. Wahrscheinlich ist, dass es vom „Räuchern“ herkam, da während der Rauhnächte Häuser, Höfe und Ställe ausgeräuchert wurden, um die bösen Geister und Dämonen davonzujagen und alle Übel des letzten Jahres zu beseitigen. Nach einer anderen Auslegung kommt „rauh“ von „haarig, wild“, weil die Dämonen, bekleidet mit dicken Fellen, ihr nächtliches Unwesen treiben.
Die zwölf Nächte haben eine wichtige Bedeutung für das bevorstehende neue Jahr, sie gelten als zukunftsweisend. Jede Rauhnacht steht für einen Monat des kommenden Jahres, daher lässt sich mit ausgesuchten und überlieferten Orakeln in die Zukunft blicken. Es ist auch eine Zeit der Rückbesinnung, eine Zeit der Ruhe und des Nachdenkens und Verinnerlichens. Den Menschen ist bewusst, dass sie in dieser seltsamen, unheimlichen und gefährlichen Zeit nichts gestalten oder bewirken können. Alle häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeiten, die nicht unbedingt notwendig waren, ruhen.
In den Rauhnächten achtet man besonders auf die Träume, Symbole und Personen, die man erlebt oder denen man begegnet. Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die Erforschung des zukünftigen Ehegatten und Geliebten, aber auch auf den Beruf, auf das Leben und Sterben, das Bleiben oder Weiterziehen.
Buch-Tipp:
Gerhard Merz. Rauhnächte. Kompakt-Ratgeber. Das Mysterium der zwölf Schicksalstage. Mankau Verlag, 1. Aufl. Oktober 2017. Klappenbroschur, durchgehend farbig, 11,5 x 16,5 cm, 127 S. 8,99 € (D) / 9,20 € (A), ISBN 978-3-86374-416-8.
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